„Außerirdisch“, „abgespaced“ und „abgefahren“: Als eindrückliche Fotostrecken jugoslawischer Revolutionsdenkmäler im Internet viral gingen, war das Urteil der reißerischen Onlinemedien einhellig. Die Klickfarmen und ihre Leser:innen fanden, dass die Denkmäler wie Relikte außerirdischer Architektur oder Ruinen einer untergegangenen Zivilisation wirken. Doch was die sogenannten „Spomeniks“ wirklich sind und woher ihre spezifische Ästhetik kommt – das war kaum irgendwo nachzulesen. Der höchst brisante gesellschaftliche und politische Kontext der faszinierenden Skulpturen ging beim Scrollen durch imposante Bilder größtenteils verloren.
Die jugoslawischen „Spomenici Revolucije“ sind eine Reihe von Denkmälern und Gedenkstätten, die in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (1945-1992) errichtet wurden. Sie erinnern an die Ereignisse und Opfer des Zweiten Weltkriegs. Sie würdigen insbesondere die antifaschistischen Kämpfer:innen, die sich während des Zweiten Weltkrieges siegreich den Achsenmächten widersetzt hatten. Sie standen auch symbolisch für die Einheit und den Zukunftsglauben des jugoslawischen Projekts.
Die Denkmäler zeichnen sich durch ihren spezifischen, abstrakt-modernistischen Baustil aus. An den teilweise riesigen Skulpturen und Gedenkparks wirkten namhafte Architekt:innen, Bildhauer:innen und Künstler:innen Jugoslawiens mit. Eines der bekannteren Bauwerke ist etwa die von Bogdan Bogdanović entworfene „Steinerne Blume“, Teil der Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Konzentrationslagers Jasenovac. Heute, nach den Zerfallskriegen in den 1990ern, sind viele der Denkmäler zerstört, und nicht wenige der Stätten befinden sich in einem kritischen Zustand beziehungsweise im Zerfall. Regelmäßig machen Medienberichte über Vandalismusakte an den Holocaust- und Zweiter-Weltkriegs-Denkmälern in der Region die Runde.
Doch seitdem die nunmehr „Spomeniks“ genannten Skulpturen von westlichen Fotograf:innen eingefangen wurden, erleben sie ein schillerndes Revival. Plötzlich tauchen nämlich überall von Revolutionsdenkmälern inspirierte Motive auf. Auf den Buchumschlägen literarischer Werke und in zahlreichen Musikvideos von Turbofolk bis Heavy Metal. Oder auch im Hintergrund von Action-Videospielen sowie in Schlüsselszenen spektakulärer Blockbuster-Superheld:innenfilme. Auf Online-Shoppingseiten lassen sich Deko-Miniaturen und Risodrucke von „Spomeniks“ erwerben. Social-Media-Influencer:innen spicken ihre Posts mit Anspielungen auf das jugoslawische sozialistische künstlerische Erbe, und Modedesigner:innen inszenieren ihre extravaganten Kreationen vor den in den Bergen prangenden Betonskulpturen. In Internet-Foren und Podcasts erfahren die Denkmäler ein regelrechtes digitales Nachleben, und im Minecraft-Computerspiel bauen Hobby-Architekt:innen ihre eigenen Versionen. Nicht zuletzt organisieren Tourismus-Agenturen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens mittlerweile mehrtägige Reisen für interessierte (vor allem internationale) Reisende.
Was bedeuten die jugoslawischen Revolutionsdenkmäler heute, in ihrer Oszillation zwischen Ruine, Etsy-Druckvorlage und viraler Internet-Sensation? Was ist für uns so faszinierend an den „Spomeniks“, und wie beurteilen die lokalen Communities ihre Denkmäler und das neu entfachte Interesse daran? In ihrem Vortrag liefert Olja Alvir einen Überblick über die „Spomeniks“ in der heutigen Popkultur und versucht nachzuspüren, was ihren aktuellen Reiz und ihre anhaltende Wirkung ausmacht.
olja alvir
Autorin, Übersetzerin und Publizistin in Wien. Reportagen, Rezensionen, Kommentare und politische Essays über Sprache, Migration und Kulturthemen in verschiedenen Publikationen (z.B. Der Standard, Falter, Die Presse, Missy Magazine, an.schläge, Tagebuch). Veröffentlichte unter anderem einen Roman („Kein Meer“, 2016) und einen dreisprachigen Lyrikband („Spielfeld/Špilfeld/Playground, 2022). Preisträgerin des wirsindlesenswert-Wettbewerbs in Graz. Seit 2022 Universitätsassistentin für südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Slawistik der Universität Wien, forscht zum jugoslawischen Partisan:innenkino.