frei otto: die zukunft des bauens hat längst begonnen
aut: gesprächEin von Rudolf Finsterwalder moderiertes Gespräch mit Frei Otto über dessen Forschungen und Themen wie Bionik, Nachhaltigkeit und die Zukunft der Architektur.
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ausstellung„Das ästhetische Element kann man nicht direkt planen. Eine ästhetische Form steht am Ende eines Prozesses. Allein mit dem Willen zur Schönheit wird man sie nicht erreichen. Wenn wir ehrlich gearbeitet haben, bekommen wir sie manchmal geschenkt.“ (Frei Otto)
Die Natur zu verstehen und von ihr zu lernen ist ein alter Menschheitstraum. Die Mischung aus Regelmäßigkeit und unendlicher Vielfalt fasziniert, ihre scheinbare Vollkommenheit ist oft Vorbild, Ziel und Herausforderung. Für den schaffenden Menschen ist die Natur in vielerlei Hinsicht ein Fundus, aber auch ein Kontrapunkt in der eigenen Arbeit. NaturwissenschaftlerInnen, ArchitektInnen und IngenieurInnen lassen sich genauso von ihr inspirieren wie KünstlerInnen und MusikerInnen.
Ein Werkzeug, das dabei hilft, die Natur zu erklären und zu verstehen, ist die Mathematik. Viele komplexe Erscheinungsformen der Natur lassen sich auf mathematische Regeln zurückführen, auch scheinbar chaotische und unregelmäßige Erscheinungen beruhen oftmals auf klaren Regeln und Strukturen (z. B. einfache Zahlenverhältnisse oder Zahlen der Fibonacci-Reihe). Kann man durch die Anwendung derartiger, aus der Natur hergeleiteter Regeln den Prozess der Form- und Gestaltfindung steuern? Ist es vorstellbar, auf Basis eines umfassenden Wissens über die Gesetzmäßigkeiten der Natur neue synthetische Formen und Strukturen im Duktus und mit der Effizienz der Natur zu generieren?
Mit Arbeiten von Frei Otto, Carsten Nicolai und Finsterwalder Architekten versammelt die Ausstellung „Form Follows Nature“ Beispiele dafür, wie eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Natur Inspirationsquelle für Formen, Techniken und Strukturen sein kann.
Frei Otto hat wie kaum ein anderer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die energetisch und konstruktiv optimierten Formen der Natur erforscht. Um zu erfahren, wie man ökonomisch, ökologisch und im Einklang mit der Natur bauen kann, gründete er 1958 das kleine, private Forschungsinstitut „Entwicklungsstätte für den Leichtbau“. Als Professor an der TU Stuttgart gründete und leitete er die Sonderforschungsbereiche „Materialforschung und Forschung im konstruktiven Ingenieurbau“ und „Natürliche Konstruktionen. Leichtbau in Architektur und Natur“. In interdisziplinären Teams aus Architekten, Ingenieuren, Biologen, Verhaltensforschern, Paläontologen, Morphologen, Physikern, Medizinern, Historikern und Philosophen wurden Zellen und Knochen, Stämme und Halme, Spinnennetze und Vogelnester, Wasserwirbel und Seifenblasen untersucht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden u. a. zur Entwicklung von „weitgespannten Flächentragwerken“ – Seilnetzen, Gitterschalen und Pneus – genutzt, die ähnlich effizient und stabil funktionieren wie die Natur. Die Form wird dabei nicht entworfen, sondern in einem empirischen Prozess experimentell ermittelt. Aus Hängemodellen, in ihrer selbst entstandenen Form fixiert und umgedreht, werden ökonomische und logische Tragwerke, Experimente mit Seifenblasen führen zu materiell und kräftemäßig minimierten Membrantragwerken und optimalen Pneukonstruktionen. Dieser Entwicklungsprozess kann in der Ausstellung „Form Follows Nature“ anhand zahlreicher Modelle von Frei Otto wie Ketten- und Fadenmodellen, Holzgitterschalen und Pneus, Schüttkegeln und textilen Konstruktionen verfolgt werden.
Neben Frei Ottos Modellen sind Studien von Maria und Rudolf Finsterwalder zu sehen, den Initiatoren und Gestaltern der Ausstellung. Ähnlich Frei Otto entwickeln sie Architekturen und Tragwerke in einem experimentellen Prozess und planen ausgehend von der Auseinandersetzung mit Formen und Strukturen der Natur eine organische, ganzheitliche Architektur. Eine spezifische Architektur, die sich aus der Funktion, den sozialen und psychologischen Anforderungen genauso entwickelt, wie aus der Konstruktion und dem Material.
Ergänzt wird die Ausstellung durch Bilder und eine Installation von Carsten Nicolai, einem im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft arbeitenden bildenden Künstler, Komponisten und Musiker, der sich intensiv mit mathematischen, physikalischen und natürlichen Phänomenen auseinandersetzt. Im Fall der Serie „Funken“ sind es die unterschiedlichen Bewegungsformen von gezündeten Funken, deren baumartige Strukturen einem mathematischen Muster folgen, das Nicolai als grafische Lichtspur sichtbar macht.
Die Gestaltung der 2011 erstmals bei Aedes Berlin und nun in adaptierter Form im aut gezeigten Ausstellung „Form Follows Nature“ transportiert das Konzept des naturwissenschaftlichen Arbeitens, das Frei Otto, Finsterwalder Architekten und Carsten Nicolai verbindet. Wie in einem Archiv werden die Modelle und Skulpturen in Stahlregalen präsentiert, Karteikästen mit Plänen, Bildern und Texten laden zum intensiven Studieren und Forschen ein.
Einen ausführlichen Einblick in die Geschichte der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur bietet die umfangreiche, von Rudolf Finsterwalder herausgegebene, gleichnamige Publikation. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigt „Form Follows Nature“ die Vielfalt der Möglichkeiten auf, sich in unterschiedlichsten Disziplinen mit Formen und Strukturen der Natur auseinanderzusetzen.
frei otto
geb. 1925 in Siegmar (Sachsen); 1948 – 52 Architekturstudium an der TU Berlin; 1950 – 51 Studium der Soziologie und des Städtebaus an der University of Virginia, Charlottesville (USA; seit 1952 eigenes Architekturbüro in Berlin; 1958 Gründung des privaten Forschungsinstituts „Entwicklungsstätte für den Leichtbau“ (EL), Atelier Berlin-Zehlendorf; 1964 – 91 Professor und Leiter des „Instituts für leichte Flächentragwerke“ (IL) an der Technischen Hochschule Stuttgart; 1969 Gründung des Ateliers Warmbronn, Frei Otto mit Ewald Bubner (seit 1986 Atelier Frei Otto Warmbronn); 1984 Gründungsmitglied des Sonderforschungsbereichs 230 „Natürliche Konstruktionen. Leichtbau in Architektur und Natur“ der DFG – Deutschen Forschungsgemeinschaft; Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in den USA und Europa
bauten und projekte (Auswahl)
1955 Zeltpavillons, Bundesgartenschau, Kassel; 1957 Tanzbrunnen (Sternwellenzelt), Rheinpark in Köln; 1967 Deutscher Pavillon für die Weltausstellung Expo 67 in Montreal (gem. mit Rolf Gutbrod); 1972 Olympiadach, München (gem. mit Günter Behnisch); 1975 Multihalle, Bundesgartenschau Mannheim (gem. mit Mutschler, Langer); 1986 Diplomatic Club Riyadh (gem. mit Omrania, Happold); 1989 Ökohaus, Berlin-Tiergarten (gem. mit Kendel); 2000 Projekt Stuttgarter Bahnhof (gem. mit Ingenhoven)
publikationen (Auswahl)
1954 Das hängende Dach; 1962/65 Zugbeanspruchte Konstruktionen; 1982 Natürliche Konstruktionen; 1988 Gestaltwerdung; Herausgeber der IL-Schriftenreihe der Universität Stuttgart
finsterwalder architekten
rudolf finsterwalder geb. 1966 in Rosenheim; 1986 – 91 Studium der Innenarchitektur an der FH Rosenheim; 1992 – 96 Architekturstudium an der TU Berlin; Mitarbeit u. a. bei Benedict Tonon und Hufnagel, Pütz, Rafaelian (Berlin) sowie bei Álvaro Siza (Porto); seit 2000 selbständiger Architekt und bildender Künstler
maria josé finsterwalder da silva araújo geb. 1964 in Porto, Portugal; 1986 – 91 Studium der Innenarchitektur an der FH Rosenheim; 1992 – 96 Architekturstudium an der TU Berlin; Mitarbeit bei Max Dudler und ENSS (Berlin), bei Bernd Albers (Zürich) sowie bei Álvaro Siza (Porto)
seit 2000 gemeinsames Architekturbüro in Stephanskirchen
bauten und projekte (Auswahl)
2004 Raumortlabor, Stiftung Insel Hombroich; 2006 Kunsthalle Kunstverein Rosenheim; 2007 „polyethylene“, Rom; Kletterhalle, Stephanskirchen; 2008 Architekturmuseum, Stiftung Insel Hombroich (gem. mit Álvaro Siza); 2009 Kirche in Olevano Romano (gem. mit Carsten Nicolai und Matthias Weischer); 2011 Mutterhaus, Bad Endorf; Atelier- und Wohnhaus Matthias Weischer; 2012 Schlachtfesthaus, Steensgaard, Dänemark
carsten nicolai
geb. 1965 in Chemnitz; bildender Künstler, Komponist und Musiker; lebt und arbeitet in Berlin und Chemnitz; 1985 – 90 Studium der Landschaftsgestaltung in Dresden; 1992 Mitbegründer des VOXXX – Kultur- und Kommunikationszentrums, Chemnitz; 1994 Gründung des Labels „noton.archiv für ton und nichtton“, das 1999 mit „rastermusic“
zu „raster-noton“ fusionierte; Veröffentlichung von zahlreichen Tonträgern unter den Pseudonymen „noto“ und „alva noto
ausstellungen (Auswahl)
Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen in nationalen sowie internationalen Galerien und Museen, u. a. documenta X, Kassel und 49. und 50. Kunstbiennale, Venedig; Einzelausstellungen u. a. 2003 Galerie EIGEN + ART Berlin; 2005 Neue Nationalgalerie, Berlin; Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main; SMAK, Gent; 2007 Pace Wildenstein, New York; Haus Konstruktiv Zürich; 2008 Kunsthalle Hamburg; 2009 Schering Stiftung, Berlin; Kunstraum Innsbruck; 2010 YCAM, Yamaguchi; 2011 CAC, Vilnius; 2012 MACM, Montréal; Hangar Bicocca, Mailand; 2013 MMK Frankfurt/Main
publikation
Form Follows Nature
Eine Geschichte der Natur als Modell für Formfindung in Ingenieurbau, Architektur und Kunst
Herausgeber: Rudolf Finsterwalder
Beiträge u. a. von Rudolf Finsterwalder, Dieter Dolezel, Werner Nachtigall, Carsten Nicolai, Ian Stewart, Frei Otto, Manfred Speidel, Günther Hartmann, Eda Schaur, Cornelius Thywissen
Buchgestaltung: Anne Schmidt (Calysto), Leipzig
27 x 20,3 cm, 512 Seiten, 537 Abbildungen, Deutsch/Englisch
erschienen 2011 im Springer-Verlag, Wien
ISBN 978-3-7091-0855-0
Eine Ausstellung mit freundlicher Unterstützung von Höreth Betriebseinrichtungen, Berlin
Ein von Rudolf Finsterwalder moderiertes Gespräch mit Frei Otto über dessen Forschungen und Themen wie Bionik, Nachhaltigkeit und die Zukunft der Architektur.
weiterlesen …Eröffnung einer Ausstellung mit Arbeiten von Frei Otto, Carsten Nicolai und Finsterwalder Architekten, die zeigen, wie eine reflektierte Auseinandersetzung mit der Natur Inspirationsquelle für Formen, Techniken und Strukturen sein kann.
weiterlesen …Im Rahmen der Ausstellung "Form Follows Nature" war Frei Otto am 14. März 2013 zu einem Gespräch im aut in Innsbruck zu Gast.
weiterlesen …Auszug aus zwei Gesprächen zwischen Frei Otto und Rudolf Finsterwalder, geführt am 28. März und am 26. Oktober 2008, erstveröffentlicht in „Form Follows Nature“, Springer Verlag Wien NewYork, 2011. erschienen in der aut: info, Nr. 1/2013
weiterlesen …Die Ausgabe 1/13 der Programmzeitschrift aut: info mit Hintergrundinformationen zur Ausstellung "Form Follows Nature" und zum Programm des aut zwischen Jänner und März 2013.
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