gabu heindl: wer nichts isst, soll hier auch nicht sein
planung, konsum und konflikt im neoliberalen stadtraum
„Macht besitzt eigentlich niemand; sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie gemeinsam handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen.“ (Hannah Arendt, 1967)
Öffentlicher Raum ist bedeutend für den sozialen Zusammenhalt, für Demokratie und für ein gutes Leben für alle – wiewohl öffentlicher Raum unterschiedlich ist im städtischen wie im ländlichen Bereich. Als Raum ist er aber auch von Interesse für Investitionen von Überschusskapital und für Freizeitkonsum: Als profitabler Raum ist er begehrt und umkämpft. Im öffentlichen Raum wächst eine Genuss- und Konsumkultur. Wer kennt, wer mag das nicht: sich in der Sonne sitzend etwas Gutes bestellen? Und wer aber kann genau das nicht – ob aus ökonomischen Umständen oder diskriminierungsbedingt? Denn durch die privatwirtschaftliche, gastronomische Nutzung von öffentlichen Plätzen, die oft aufgrund eines guten Ausblicks oder einer guten Lage von kollektivem Interesse sind, werden auch soziale Ausschlüsse produziert. Zugleich wird zudem ein Verlust an Gestaltungsmöglichkeiten seitens der öffentlichen Hand in Kauf genommen. In jedem Schanigarten finden sich also ökonomische, soziale, ästhetische und raumplanerische Fragen verdichtet.
Lassen Sie mich die Sache mit dem demokratischen Aspekt von öffentlichem Raum zunächst konzeptuell angehen – und zwar im Verhältnis zum tätigen Leben und somit in der Nähe der Frage nach der Arbeit: Arbeit in dem größeren Zusammenhang, den die Philosophin Hannah Arendt in ihrer „Vita activa“ als das „tätige Leben“ bezeichnet hat. Dieses tätige Leben besteht für Arendt aus Arbeiten, Herstellen und Handeln, reduziert sich aber in der Geschichte immer mehr auf Arbeit und des Weiteren auf Konsum. Unmittelbar verbunden mit Arbeit und Konsum ist gesellschaftliche Wertschätzung, das Selbstwertgefühl. Wie wir aber wissen, fehlt vielen jedoch die Kaufkraft für den Konsum – auch vielen Leuten, die arbeiten, aber zu wenig verdienen, um am Konsum teilzunehmen.
Mit Arendt gesagt, kommt hier ein Problem zum Tragen, das mehr ist als ökonomisch: Durch die Reduktion allen tätigen Lebens auf Arbeit – auf Arbeit als Kategorie, die die „Arbeitslosigkeit“ beinhaltet, die ja ihrerseits viel Arbeit an der Suche und ein gleichzeitiges soziales Stigma bedeutet –, durch diese Reduktion auf Arbeit also entfallen gänzlich die anderen Aspekte des tätigen Lebens: das Herstellen und das freie Handeln. Und es sind dies die Aspekte des Tätig-Seins, die nicht im „Haus“ stattfinden und den Haushalt reproduzieren, sondern die kategorisch öffentlich sind: Herstellen heißt, sich durch Dinge an die Wahrnehmung durch andere zu wenden, und freies Handeln bedeutet in einem ganz nachdrücklichen Sinn, Dinge auszutauschen oder sich auszutauschen, sich öffentlich zu äußern, vor anderen zu sprechen etc. Darin liegt nun für Arendt die eigentliche Grundlage für die Erfahrung von Anerkennung und Selbstwertgefühl, von Teilhabe. Und – worauf ich nun abziele – freies Handeln ist auch die Basis für Öffentlichkeit, für Politik.
Umgekehrt bedeutet die Reduktion von Tätigkeit auf reine Arbeit und Konsum einen Ausschluss aus dem tätigen Leben und somit auch aus dem öffentlichen Leben bis hin zur Politik. Der öffentliche Raum ist ein paradoxer Raum: Menschen handeln öffentlich, um ebendiese Öffentlichkeit zuallererst herzustellen; sie begeben sich „in etwas“, das dadurch, dass sie sich tätig hineinbegeben, erst entsteht. Die Öffentlichkeit ist hier wie ein Tisch, der zugleich verbindet und trennt. Öffentlichkeit geht verloren, wenn dieser Tisch verschwindet. „Was die Verhältnisse in einer Massengesellschaft für alle Beteiligten so schwierig macht, liegt nicht eigentlich in der Massenhaftigkeit selbst; es handelt sich vielmehr darum, dass in ihr die Welt die Kraft verloren hat, zu versammeln, d. h. zu trennen und zu verbinden.“ Arendt skizziert das so: „Der Tisch verschwindet wie durch einen magischen Trick in einer Séance“.
Dieser Tisch kann vieles sein: eine Bank unterm Baum, ein Platzerl am Wasser, eine freie Wiese zum sich reinlegen. Der Tisch ist aber zu einem Großteil ein Gasthaus-Tisch geworden: als Tisch, an dem konsumiert werden muss, ist er heute der exemplarische und der bei weitem häufigste im öffentlichen Raum, also nicht nur in Wirtsstuben, sondern in der zunehmenden Nutzung von städtischem Raum durch Freiluft-Gastronomie. Dieser Prozess läuft übrigens gleichzeitig ab mit der Reduzierung von allgemein gratis nutzbarem Mobiliar – Bänken, Tischen – im öffentlichen Raum. Denken wir aber auch an das Alkoholverbot, wie es etwa in manchen österreichischen Städten umgesetzt wurde – dann gilt eine billige Dose Bier im allgemeinen öffentlichen Raum der Stadt als Skandal, während exzessiver Alkoholkonsum an ausgewählten Orten, wie etwa Weihnachtsmärkten, fast zur patriotischen Pflicht zu werden scheint.
Zurück zum Konsum-Tisch: An diesem Tisch gibt es nur Platz, wenn man/frau etwas Bezahlpflichtiges trinkt – wobei das Trinken manchmal gar nicht genügt, weil Gastronomen an besonders profitablen Locations eben sagen: „Wenn Sie nix essen, können Sie hier nicht sitzen bleiben.“
Bleiben wir noch bei dem oben skizzierten gegenwärtigen Szenario mit dem Gasthaus-Tisch, der Teilhabe an Konsumpflicht bindet. Da sind wir in den letzten Jahrzehnten mit Entwicklungen konfrontiert, durch die der Öffentlichkeitscharakter von Öffentlichkeit in einer recht spezifischen Weise durch „Privatisierung“ kompromittiert ist. Ich spreche von Prozessen der Gentrifizierung von öffentlichem Raum, insbesondere in Städten, damit auch von Verdrängungsprozessen. Diesen Aspekt der Umwandlung von öffentlichem Raum in Konsumraum hat die Soziologin Sharon Zukin als eine „pacification by cappuccino“ beschrieben. Sie bezieht sich damit auf öffentliche Märkte und Parks in New York. Zugespitzt gesagt tritt das Trinken von Cappuccino seitens kaufkräftiger, kultivierter Kundschaften an die Stelle des „Handelns“, wie es auf Märkten üblich war.
Heute ist zu Recht von einer Krise der Öffentlichkeit die Rede; das Verschwinden von öffentlichen Räumen, deren Filterblasen und sozialen Netzwerken ohne demokratische Rahmungen sind nur ein Symptom davon. Der Arendt´sche Tisch fällt gewissermaßen weg – und damit das, was die Welt ausmacht.
literatur Hannah Arendt „Vita activa oder Vom tätigen Leben“, München: Piper, 2002 (1967) Jürgen Habermas „Theorie des kommunikativen Handelns“, Frankfurt: Suhrkamp, 1981 Karl Marx „Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie“, Vol. 1. Marx / Engels Werke 23, Berlin: Dietz Verlag, 1962 (1867) Sharon Zukin „The Cultures of Cities, Malden, Mass and Oxford“, UK: Blackwell Publishers, 1995
Das aut: feuilleton ist eine gekürzte Fassung von Gabu Heindls Beitrag im Tagungsband zum Symposium „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Auf dem Weg zu einer globalen Gesellschaft der Überflüssigen?“ in Dürnstein 2018, Donau Universität Krems (Hg.), St. Pölten / Krems 2018. Der Artikel erscheint auch in der Festschrift „Drinnen & Draußen. 50 Jahre DOWAS. Gegen soziale Ausschließung“.
gabu heindl Studium der Architektur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, an der Geidai University in Tokyo sowie mit einem Fullbright Stipendium im Postgraduate Programm an der Princeton University (USA); lebt und arbeitet als Architektin und Stadtplanerin in Wien mit dem Fokus auf öffentlichem Raum, öffentlichen Bauten, bezahlbarem Wohnen sowie auf Kollaborationen in den Bereichen Geschichtspolitik und kritisch-künstlerische Praxis
publikationen (Auswahl) 2024 Nonsolution. Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen“ (mit Drehli Robnik); 2022 „Gerechte Stadt muss sein! Studie zur Bestandsanalyse und Zukunftsorientierung einer gerecht(er)en Stadtplanung mit Schwerpunkt Wien“; 2020 Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung; 2019 „Building Critique. Architecture and its Discontents“ (mit Michael Klein und Christina Linortner); 2018 „Care, not Scare City — ein Utopia des Dazwischen“ (mit Alisa Beck, Fanja Haybach und Claudia Totschnig, in: Dorothea Trappel (Hg.), „Der abgestellte Bahnhof. Das Nordbahnhofgelände Wien und die Freiheit des Raumes“; 2008 „Arbeit Zeit Raum. Bilder und Bauten der Arbeit im Postfordismus“
Eine Ausstellung anlässlich von 50 Jahre DOWAS (Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende), die sich anhand von Hintergrundinformationen, Fallbeispielen, Videos und künstlerischen Arbeiten dem komplexen Themenfeld des Wohnens widmet.
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