lars müller: bücher bauen
ausstellungEine Ausstellung des Gestalters und Verlegers Lars Müller zum Thema der "Übersetzung" von Raum und gesellschaftspolitischen Themen ins Medium Buch.
weiterlesen …ein text von lars müller, abgedruckt in aut: info nr. 4/16
Ein Text von Lars Müller, erschienen 2015 in der Begleitpublikation zur Ausstellung „Lars Müller BOOKS Analogue Reality“ in
der Kyoto DDD Gallery und in der Ginza Graphic Gallery; abgedruckt in aut: info nr. 4/16
Ich weiche der Frage aus, welches mein liebstes Buch sei, meine liebsten zehn, fünfzig oder hundert. Jedes Buch hat seine Geschichte. Eine Geschichte die zu erzählen sich lohnt.
Einige Bücher fallen stärker auf als andere: wegen der Kraft ihres Inhalts, wegen der Persönlichkeit ihrer Autoren oder manchmal wegen ihrer Gestaltung. Für mich ist ein Buch dann ein Besonderes, wenn es mir gelungen ist, seinen Inhalt und seine Gestalt in eine Übereinstimmung zu bringen und beides ist gut. Nichts ist schlimmer als ein schwacher Inhalt in guter Gestaltung.
gestalter und verleger
Fast gleichzeitig mit dem Beginn meiner gestalterischen Karriere habe ich 1983 den Verlag gegründet. Ich wollte nicht nur für die Gestaltung verantwortlich sein, sondern auch den Inhalt bestimmen. Das Vergnügen, ein Buch von der Idee bis zu seiner Verwirklichung in allen Arbeitsschritten bestimmen zu können, hat mich seither begleitet.
Ich halte die beiden Berufe auseinander. Als Verleger bin ich auch als Unternehmer herausgefordert und muss mich in der sich dramatisch verändernden Bücherwelt behaupten. Als Gestalter idealisiere ich das Buch und halte an ihm fest. Zu groß scheint mir der Verlust der sinnlichen Sensationen zu sein – das Objekt, sein Gewicht, seine Materialität, ja selbst sein Geruch –, wenn man die praktischen Funktionen des Buches vorschnell in die digitale Welt verlagert. Diese Abgrenzung ist sicher auf meine analoge Ausbildung zurückzuführen und auf die Erfahrung, etwas von der abstakten Idee zu einem physischen Produkt sich entwickeln zu sehen. Das wird mich immer begeistern.
meine lehrer
Woran ich als Gestalter glaube und was ich als Graphic Designer leisten kann, das habe ich von starken Persönlichkeiten gelernt. Josef Müller-Brockmann war mein wichtigster Lehrer. Mit formaler Kritik hielt er sich zurück. In der Beurteilung der gestalterischen Idee und Konzeption war er aber unerbittlich. Meistens ergab sich die angemessene Form durch scharfes Denken und unermüdliche Suche. Daraus entwickelt sich die Intuition, ein Gefühl für das „Richtige“.
Richard Paul Lohse, ein Schweizer Künstler der Konstruktiven Richtung und überzeugter Sozialist war mein ideologischer Meister. Eine politische Überzeugung lässt sich kaum in grafischer Gestaltung ausdrücken. Und doch, das Sachliche und Funktionale in der Schweizer Grafik kommt meiner sozialen Überzeugung sehr entgegen. Außerdem gibt diese Gestaltungsauffassung meinem limitierten Talent einen Halt und Orientierung. Einem „Swiss Style“ fühle ich mich aber nicht verpflichtet.
Als dritter und früher Förderer hat mich der holländische Gestalter Wim Crouwel an das Buch herangeführt, als das grafische Erzeugnis, das auf Dauer angelegt ist und nicht auf kurzzeitige Wirkung.
Alle drei haben mich aber auch gelehrt, meine Arbeit zu genießen und Leidenschaft und Unerbittlichkeit zu entwickeln in der Erreichung meiner Ziele und Absichten. Ich bin ihnen sehr dankbar.
die abwesenheit der gestaltung
Die Auswahl für diese Ausstellung ist sehr persönlich und erklärt sich nicht von selbst. Manche Bücher fallen in ihrer Gestaltung kaum auf und trotzdem sind sie mir wichtig, weil ich mit ihnen eine Geschichte verbinde, ein Erlebnis oder eine Begegnung. So ist es mit allen Dingen, die mich umgeben. Sie haben einen Ursprung und eine Erinnerung! Die Gestaltung ist häufig nebensächlich. Diese unscheinbare Gestaltung gefällt mir – besonders bei Büchern.
Der Graphic Designer stellt sein Können in den Dienst des Inhalts und unterstützt diesen in seiner Wirkung, ob Bild oder Text. Die Komposition der Seite ist ein entscheidender Eingriff: Ob das Bild wie ein Donner auf der Seite steht, oder Bildgruppen wie kostbare Perlen im unendlichen Raum, mit fließenden Weißräumen und sparsamer Typografie.
arbeit im team
Buchgestaltung gelingt am Besten, wenn der Gestalter in ein Team eingebunden ist und die Lösungen und Entscheidungen reflektiert und diskutiert werden können. Ich arbeite mit einem Team von motivierten Gestaltern, die über unterschiedliche Erfahrungen verfügen. Ich lasse mich gerne beraten, aber behalte mir das Recht vor, die letzte Entscheidung zu treffen.
In dieses Team integriere ich nach Möglichkeit die Autoren und Herausgeber und sehe es gern, wenn sie sich für die Gestaltung des Buches mit verantwortlich fühlen. Es ist schließlich auch ihr Buch. Die Arbeit im Team beeinflusst auch unsere Arbeitsweise.
die wand
Seit meinem ersten Buch ist die Wand mein wichtigstes „Arbeitsinstrument“. Schon in einem frühen Stadium gelangen die Inhalte, Skizzen und Notizen an die Wand. Langsam fügen sich die Elemente zu einer Struktur, zu Sequenzen, die sich ständig verfeinern, bis das Buch als langes Band seine Form annimmt. Diese Darstellung erlaubt es, Fluss und Rhythmus zu prüfen und formale Unstimmigkeiten zu erkennen. Und es fördert das Gespräch, das bei der gleichen Arbeit am Bildschirm völlig ausbleibt.
analog und digital
Die Befürchtung, das Buch werde von den digitalen Medien verdrängt und verschwinden, teile ich nicht. Die größte Veränderung und Verlagerung in die digitale Welt betrifft den Buchhandel. Vielleicht wird der Markt kleiner, aber das Medium Buch wird immer seine Freunde finden.
Ich habe den Eindruck, dass der digitale „Hype“ abklingt und die Nutzungsmöglichkeiten selbstvertändlich werden, so selbstverständlich wie es eben auch das Buch ist. Wenn wir die vielen Erleichterungen zu nutzen wissen, die elektronische Geräte und Einrichtungen uns bieten, wird das Bedürfnis beim Menschen erhalten bleiben, nach Wirklichkeit, Echtzeit und Physik.
global und lokal
Digitale Inhalte sind jederzeit überall und doch nirgends verortet. Das fasziniert mich, es irritiert mich aber auch. Demgegenüber verbringe ich mein Leben vorwiegend an einem vertrauten Ort, den ich mein Zuhause nennen mag. Dieser Ort ist der Ursprung meiner Bücher. „Die Schweiz in die Welt und die Welt in die Schweiz tragen“, war ein frühes Motto meines Verlags. Ich reise leicht und leidenschaftlich gern. Und meine Bücher reisen mit.
„Think global, act local“ hat Richard Buckminster Fuller 1929 geraten. Heute mehr denn je müssen wir unsere lokale Identität und Verantwortung pflegen und wahrnehmen, damit wir als Weltbürger den globalen Herausforderungen gewachsen sind. Das Buch ist ein Botschafter und vermittelt Inhalte, die immer eine Herkunft haben.
dealing with the past
Die Erkenntnis ist abgedroschen: Dass sich die Zukunft aus der Vergangenheit generiert. Trotzdem habe ich ein inniges Verhältnis zur Geschichte, vor allem des 20. Jahrhunderts und den Entwicklungen in Architektur, Design, Kunst und Gesellschaft.
Es scheint mir lohnend zu sein, mit einem heutigen Blick auf historische Ereignisse, Errungenschaften und auch Irrtümer zu blicken und ihre Reflexion in Buchform einem interessierten Publikum anzubieten. Schließlich sind die Sensationen unserer Gegenwart in kurzer Zeit auch Geschichte.
das buch als instrument und dokument
Ich messe dem Buch eine unschätzbare Bedeutung zu als Instrument innerhalb der aktuellen Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und ihren Problemen, aber auch Phänomenen. Mit der Zeit wird das Buch zum Dokument, zum Zeugnis eines Ereignisses, einer Sichtweise, eines Wissensstandes zur Zeit seines Erscheinens. Seit Jahrhunderten haben wir unser Wissen und unser Weltverständnis aus geschriebenen und auf Papier gedruckten Quellen geschöpft.
Bibliotheken sind die Tempel des Wissens und der Erkenntnis. Das digitale Gedächtnis ist dem gegenüber noch nicht gesichert. Wenn sich das ändert, können sich die analogen und digitalen Medien die Verantwortung des Erinnerns gerne teilen.
Eine Ausstellung des Gestalters und Verlegers Lars Müller zum Thema der "Übersetzung" von Raum und gesellschaftspolitischen Themen ins Medium Buch.
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