walter angonese: weiterdenken, weiterbauen
Ein Textbeitrag von Walter Angonese über seinen Zugang zur Architektur, erschienen in der aut: info, Nr. 2/2011
weiterlesen …auszug aus einem gespräch, erschienen in der aut: info nr. 2/2011
Meine gesamte künstlerische Arbeit, in der die Alltagsgeschichten eine zentrale Rolle spielen, ist ein permanentes Übersetzen. Wenn eine Farbe vom Weinberg ins Büro wandert, billiger Baustahl vergoldet wird oder sich ein Beilholm in einen Hochglanztürgriff wandelt, so hat das mit „Übersetzung“ zu tun.
Ein Handlauf etwa ist zugleich ein skulpturaler Gebrauchsgegenstand und eine symbolische Anspielung auf das Vorübergehende im Fluss der Zeit und im Wechsel der Aggregatzustände. In der Verdichtung verbindet sich das Konstruktive und Banale mit dem Geistigen und Irrationalen. Es geht nicht nur um Sichtbarkeit, sondern auch um die körperliche Interaktion des Tastens. Der von mir für die Festung Franzensfeste konzipierte Handlauf aus vergoldetem Baustahl geht von einem konkreten Ortsbezug aus, den Geschichten rund um die in der Festung gelagerten Goldreserven und die mit Gold und Reichtum verbundenen Glücksfantasien. Das ist aber auch nur die Zündung, der Anlass. Darüber hinaus geht es in der konkreten Materialisierung auch um einen Widerspruch zur geltenden Meinung, gegen auferlegte Bedeutungen, gegen die so genannte „Natur der Sache“ in der Kultur. Die „Aura“ eines Materials kristallisiert sich aus der Funktion heraus. Indem ich billigen Baustahl vergolde und veredle, wird die „angestammte“ Funktion in Abrede gestellt. Ein anderes „griffiges“ Exempel wäre der Schaft eines Beils, der für eine Haustür zum Griff umfunktioniert wurde: Indem ich den Schaft glanzlackiere, ihm einen weißen Anzug verpasse, verändert sich die Wahrnehmung, öffnet sich ein Katalog anderer Ähnlichkeiten und Referenzen.
Solche Interventionen sind Beispiele, in deren Zusammenhang es auch einmal interessant wäre, über die so genannte „Ortsbezogenheit“ von Materialien zu sprechen. Im Unterschied zur Politik oder Ökonomie geht es in der Kunst nicht darum Behauptungen aufzustellen, die meistens nur Klischees produzieren, sondern darum Fragen zu modellieren. Im Mittelpunkt steht nicht die Standardsprache, sondern der Dialekt, stehen die Dialekte, die Varietäten und Färbungen. Dialekte können plötzlich wert-voll werden: Die Kunstform, der Ausdruck einer kleinen Gruppierung, kann für die Gesellschaft eines Landes plötzlich zum Kapital werden.
Meine Arbeit kreist um das „Erfassen“ und „Begreifen“ von Materialien, Bildern, Formen und Topoi in kulturellen Räumen. Das alles hat mit einer differenzierten Sehweise zu tun oder, wie es Ad Reinhardt ausdrückt: „Sehen ist schwieriger als es aussieht“. Ich selbst musste erst einmal das akademische Formenvokabular ablegen, um den Blick frei zu haben. Wichtig waren diesbezüglich Aufenthalte im Ausland. Rotsehen ist in Venedig etwas anderes als in Moskau und ins Blaue hinein denkt es sich in Griechenland anders als in Tirol. Hier fiel mir einmal auf, dass der Bauer selbst beim Kirchgang am Sonntag die blaue Schürze nicht ablegt, sondern selbstbewusst unter dem Jackett hervorblitzen lässt. Das Königsblau, das göttliche Blau, die blaue Arbeitskleidung. Als den Mitarbeitern der Vinschgauer Obstproduzenten die neue Architektur zu modern erschien, lag die Lösung auf der Hand: „schurzblau“ an die Fassade – und schon stand die Tür offen. Nicht nur Landschaften oder Räume können ein „Heimatgefühl“ vermitteln, sondern auch Farben. Die Wirkung und Wahrnehmung von Farben ist ortsbezogen und kulturell bedingt, denn Sehweisen sind sozial geprägt. Die Frage stellt sich, wie weit man gehen kann, damit das Ganze kritisch, aber noch stimmig ist. Stimmigkeit hat vor allem mit Authentizität zu tun, mit Lebendigkeit. Das sind Vorstellungen, mit denen ich auch Heimat und Haus verbinde. Ich denke dabei an den Bauer im Nadelstreif, den John Berger beschreibt: Man kann einer Person, die eine ganz andere Körperhaltung und Ausstrahlung hat, nicht einfach irgend einen Designeranzug überwerfen. Dasselbe Prinzip gilt für Räume. Alles hat seine berechtigte „Sprache“. Auch wenn ich zunächst immer „neutral“ an eine Aufgabe herantrete und versuche, Räume und Orte unabhängig von ihrer Position auf der Landkarte aufzunehmen. Erst im Nachhinein tritt dann oft wie von selbst, wie in einer chemischen Reaktion, eine bestimmte Verortung an die Oberfläche.
Als Antwort auf die progressive Ästhetisierung des Alltags geht es mir um den Umgang mit natürlichen Ressourcen, gerade in Hinblick auf die Globalisierung der Materialien. In dem Augenblick, wo mir in jedem Moment alles zur Verfügung steht, muss ich viel überlegter handeln. Ein einfacher Vergleich mit den Essgewohnheiten verdeutlicht den Gedanken: Wenn der Supermarkt saisonunabhängig ständig das gesamte Angebot bereit hält, braucht es viel mehr Disziplin, und vor allem muss ich auch die Konsequenzen meiner Entscheidungen bedenken, nicht nur unmittelbar auf meine Person bezogen, sondern auch auf den weltweiten Warenverkehr, in Folge auf die Umwelt, die Wirtschaft etc. Im Zusammenhang mit der aktuellen Lebenslogik bedeutet dies für die künstlerische Arbeit, sich nicht allein auf die Herstellung materieller Produkte und schillernder Oberflächen zu konzentrieren – das beherrschen genügend Branchen schon nahezu perfekt –, sondern den Begriff der „Gestaltung“ umfassender, übergreifender, in Form von Kontextbezügen zu denken. Orte sind für mich Kraftfelder von Beziehungen, die sich durch Vergleiche und Maßstäbe herauskristallisieren. Durch Lebensspuren, durch Überlebensspuren, durch das Bewohnen, Bearbeiten, Formen aber auch „Überformen“ im Sinne von „Kolonialisieren“ von einer Form durch eine andere. Alles ohne formale Hintergedanken oder ästhetisches Bewusstsein.
(Auszüge aus einem Gespräch, aufgezeichnet und bearbeitet von Marion Piffer Damiani, Bozen 2009; Erstveröffentlichung im Band „Südtirol, Europa: Kulturelle Motive und Reichweiten“, Autonome Provinz Bozen/Kulturabteilung (Hrsg.), 2010)
Ein Textbeitrag von Walter Angonese über seinen Zugang zur Architektur, erschienen in der aut: info, Nr. 2/2011
weiterlesen …Eine Ausstellung, die die spezielle Art der Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Walter Angonese und dem Künstler Manfred Alois Mayr räumlich vermittelt.
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