manfred alois mayr: rotsehen ist in venedig etwas anderes als in moskau
Auszüge aus einem Gespräch mit Manfred Alois Mayr, aufgezeichnet und bearbeitet von Marion Piffer Damiani. erschienen in der aut: info, Nr. 2/2011
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Weiter zu denken, um dann weiter zu bauen, das ist, auf den Punkt gebracht, mein Zugang zur Architektur. Mir geht es um das Wahrnehmen von Situationen, um das Verstehen von Orten, auch unabhängig von konkreten Aufgabenstellungen. Mich interessieren die Geschichten, die sich hinter Situationen verbergen. Dem kommt wohl mein neugieriges Wesen und die Tatsache entgegen, dass ich in meinem Dörfli schon alles genau zu kennen glaube, bis hin zum Kanaldeckel vor meiner Vinothek. Aus dieser Form von „Langeweile“ heraus habe ich mir eine Betrachtungsweise angeeignet, Orte und Situationen bewusst wahrzunehmen. Ausgehend von der Fokussierung auf ein Detail und seiner Beziehung zum jeweiligen Umfeld. Das heißt vorab – mit der Betonung auf vorab – die Situation, den Ort so zu akzeptieren, wie man ihn vorfindet, möge er auf den ersten Blick noch so banal wirken.
Mich interessiert Kontinuität aus typologischer und semantischer Sicht, das Verstehen der Entstehung von Phänomenen. Wie nehme ich diese wahr, wie werden sie von anderen wahrgenommen. Mich interessiert die Sinneswahrnehmung (das Erlebte, die Vergangenheit), das Erkennen einer Struktur oder gewisser Konstanten eines Ortes, um Gion Caminada zu zitieren. An solchen Strukturen und Konstanten kann später, mit einer entsprechenden Aufgabenstellung, „weitergebaut“ werden.
Weiterbauen verlangt nach einer Idee. Sie kommt meist sehr flüchtig daher, sie ist bewusst oder unterbewusst das Resultat des Weiterdenkens. Sie wird angenommen, auch weil sie nie abgelehnt werden kann. Sie wird mit Hartnäckigkeit und Konsequenz analysiert, modifiziert oder potenziert, um schließlich wiederum aufmerksam durchleuchtet zu werden. Ideen sind Parallelsituationen des Weiterdenkens. Manchmal sind sie akontextuell (flüchtige Episoden, die man irgendwann aufgenommen hat), manchmal beziehen sie sich auf Bekanntes, transformieren es, manchmal realistisch genug, um programmatisch verarbeitet zu werden, manchmal auch nur ein Startpunkt für eine prozesshafte Entwicklung.
Meine Form des „Weiterdenkens“ ist sehr persönlich gestrickt. Erfahrung und Bewusstsein fließen hier ein. Neben einer Methodik kommen wir um Erfahrungen und um Geschichte nicht herum. Sie, die Geschichte, gibt uns Auskunft über unsere Herkunft, die Herkunft unserer Assoziationen, die Herkunft der Form, mit der wir schlussendlich arbeiten. Damit wird beim Entwerfen, beim „Weiterbauen“ das Beliebige, das zu Zufällige vermieden. Sie, die Geschichte, dient auch als Begründung für das Angedachte, für die Legitimation unserer Ansätze, unseres Arbeitens. In diesem Zusammenhang spielt auch Denken in Typologien eine wichtige Rolle. Das Weiterdenken von Typologien, die wir aus der Geschichte kennen, aber auch die Wechselwirkung, die Gebäudetypen mit den Orten und ihrer Topografie einzugehen vermögen.
Geschichte ist Teil des kollektiven Gedächtnisses und um dieses anzuzapfen, so Adolf Loos, muss Bekanntes evoziert werden. Letztendlich waren feste Konventionen immer schon eine der Voraussetzungen, um Neues entstehen zu lassen. Die Sicht nach hinten, in die Geschichte, mit der Perspektive nach vorne, bleibt auch deshalb für mich der gangbarste Weg. Auch die Philosophie agiert aus einer geschichtlichen und erkenntnisorientierten Dimension heraus, setzt einen Schritt nach vorne, argumentiert und legitimiert neue Überlegungen aus Bekanntem heraus. Kontinuität „vereinfacht“, konzeptionell gemeint aber auch ganz pragmatisch gesprochen, doch vieles.
Die Suche nach „Einfachheit“ und Überlegungen dazu waren immer schon Teil des philosophischen und künstlerischen Denkens. Es war, glaube ich, Johann Joachim Winckelmann, der den Begriff von der „edlen Einfalt“ formulierte. Durch Reduktion an Komplexität zu gewinnen, auf dass schlussendlich auch der Mangel zur Fülle mutieren kann, damit „Komplexes einfach“ oder „Einfaches komplex“ wird. Auch deshalb und auf der Suche nach einer „edlen Einfalt“ begeistert mich das Alltägliche im Leben, das Wiederholende oder die anonyme Architektur, jene Phänomene, die hinter diesen Gegebenheiten gestanden haben könnten, die Logik des Alltags, der Umgang mit Sachzwängen. Ein „edler Pragmatismus“, der die Alltagskultur prägt. Pragmatismus als eine der Ausgangspositionen für das Weiterbauen. Pragmatismus, der hinterfragt, kulturell aufgeladen zum „Programm“ wird, das Stimmungen abstrakt vorwegnimmt, Räume und Zwischenräume in gedanklicher Hinsicht formuliert, jeden Schritt analysiert und mögliche Vernetzungen und Korrelationen herstellt.
Mich begeistert die Gratwanderung zwischen Kunst und Architektur, z. B. eines Donald Judd, eines Gordon Matta-Clark. Viele meiner Projekte werden mit Künstlern entwickelt, ich lerne von ihnen den anderen Blick auf Situationen. Den abstrakteren, den konzeptionelleren. Was es mir wiederum erlaubt, bei meinen Arbeiten ganz pragmatisch loszulegen und durch konzeptionelle Hinterfragung im Prozess mein Ziel anzusteuern. Bewusst anders als manch andere, die hochgestochen konzeptionell loslegen, um dann ganz banal zu enden. Auch die selbstheilende Wirkung allzu starker Konzepte wage ich in Frage zu stellen. Weshalb ich doch wieder zum klassischen Kanon zurückkehre, zu Themen wie Raum, Licht, Materialität. Qualitäten jedenfalls, die unsere Orte prägen. Verwoben mit den wichtigen Dingen des Lebens, mit Begriffen wie Nachhaltigkeit (abseits ihrer Pauschalverwendung durch Politik und anderen Oberflächlichkeiten) oder Legitimation (vorab vor sich selbst, seinem ummittelbaren Umfeld und dem Umfeld unserer Wahrnehmung), könnten diese dazu beitragen, dass Architektur wieder einen anderen Stellenwert, abseits formalorientierter Beliebigkeit erfährt und verstärkt Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins wird.
Auszüge aus einem Gespräch mit Manfred Alois Mayr, aufgezeichnet und bearbeitet von Marion Piffer Damiani. erschienen in der aut: info, Nr. 2/2011
weiterlesen …Eine Ausstellung, die die spezielle Art der Zusammenarbeit zwischen dem Architekten Walter Angonese und dem Künstler Manfred Alois Mayr räumlich vermittelt.
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