rainer köberl: der winkel im winkeltal. ein lawinenspaltkeil in zwei bauphasen
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 1/2016
Hin und wieder muss ich hinein ins Villgratental zu Bernd Mühlmann, dem „Kleidermacher“ in Außervillgraten. Für ihn haben Daniela Kröss und ich nun schon zwei kleine weiße Geschäfte in Innsbruck und München geplant. Im heurigen Sommer, zur Murenzeit, haben wir uns noch kurz vor einem Guss ins Winkeltal gewagt, da tauchte im Augenwinkel in der saftig grünen Wiese diese trockene, graue Skulptur auf.
„Der Mur- und Lawinenspaltkeil wurde zum Schutz der Lechenhöfe gegen Muren und Lawinen im Bachlechnergraben in den 1960er Jahren errichtet und von Dipl. Ing. Fuxjäger geplant. 1986 wurde der Spaltkeil nach den Plänen von Dipl. Ing. Schett erhöht“(1).
Abgesehen von der klaren geometrischen Form des deutlich und offensichtlich „gegen“ die Natur errichteten Bauwerks, resultiert dessen besondere Qualität aus den zwei, circa zwanzig Jahre auseinander liegenden Bauphasen. Der erste, ein Drittel hohe, etwas flacher geneigte Keil, wurde aus „natürlichen“ Bruchsteinen mit einer parallel zum Gelände verlaufenden Oberkante gemauert. Die spätere Erhöhung wurde – etwas aufrechter – in Beton gegossen, wobei die Schalbretter, logisch und deutlich sichtbar, parallel zur Oberkante des Keils angeordnet wurden. Die Kante verläuft wiederum nicht parallel zum Gelände, sondern wurde im Bereich des „Lawinenangriffspunktes“ erhöht.
Wesentlich für die Gestalt ist zudem, dass die zweite Bauphase nicht nur in einer Erhöhung bestand, sondern dass diese auch in der Länge den vorhandenen Keil überragt, sich mit dem Bestand also verklammert und diesen in die Gesamtform „miteinschließt“.
Der Grund für diese „Schönheit“ hat sich mir eigentlich erst durch das genaue Betrachten des Fotos erschlossen, was letztendlich zu einem ausreichend langen Text über dieses einfache Gebilde geführt hat.
(1) Dank für diese – wörtlich übernommene – Information an Dipl. Ing. Otto Unterweger, Wildbach- und Lawinenverbauung, Gebietsbauleitung Osttirol
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 1/16