rainer köberl: die besetzte mitte und eine viel zu niedere tür
Ein Text von Rainer Köberl über das "Babalon", Innsbrucks einzige wirkliche Bar, erschienen in: aut: info 3/2019.
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Welchen Namen gibt man einem Gastlokal im Souterrain eines öffentlichen Hallenbades? „Plansch“ nannte Heval Özkan, der eigentlich Musiker werden wollte, sein erstes Lokal im Amraser Hallenbad in Pradl. Nach einer etwas merkwürdigen Kündigung zog er weiter nach Dreiheiligen. Hier sammelte sich eine große Schar gemischter Gäste in einem kleinen Lokal – voll unterschiedlicher Bücher, guter Musik und mit einem Gastgarten – am Rand der kurzen Kastanienallee, schräg gegenüber vom Maximillianischen Zeughaus. Obwohl es eine Aufwertung für das Grätzl war, ließ die lärmempfindliche Umgebung eine Kündigung erwarten. Damit begann jedoch auch das Wirken „guter Geister“: Es waren dies einige Stammgäste, konkret die Architekt*innen Stephanie und Alexander Topf1 und Robert Possenig von der ÖBB, der Vermieterin des neuen, unweit gelegenen Lokals in den Viaduktbögen2, wo auf Grund der neuen S-Bahnstation Messe einige Bögen geräumt, in einen Edelrohbau gewandelt und frei für neue Mieter*innen wurden.
Das Besondere am freien Bogen 69 und den benachbarten Bögen ist der Umstand, dass um 1910 an dem bereits 1856 fertiggestellten Bahnviadukt das sogenannte „Schlachthofgleis“ in gleicher Bauweise angebaut wurde. So entstanden jeweils zwei fast identische, aneinander gestellte Bogenräume, die zu beiden Seiten offen sind. Die konzeptionelle Entscheidung den straßenseitigen, neun Meter tiefen Raum als Innenraum auszustatten und die zweite, fünf Meter tiefe Zone als Außenraum, als große Loggia zu belassen, macht aus diesem Lokal etwas, was man als Ort3 empfinden kann – denn das „Ungenützte“ erzeugt Großzügigkeit und eine Verklammerung mit der Umgebung. Dass die große Loggia, an der ein Radweg vorbeiführt, auf die Rückseite eines fünf Meter entfernten niederen Gebäudes schaut, vergrößert diese eher optisch, als dass es stört. Hier ist ein selten klares und vor allem auch kraftvolles Raumgefüge aus der bewussten Rücksichtnahme auf den Bestand entstanden. Möglicherweise hat auch die Fuge zwischen den beiden aneinander gebauten Bauteilen, die nicht abdichtbar ist, diese klare Entscheidung, neben dem knappen Budget, beeinflusst.
Die Erklärung der Architekten zum Konzept: Low-Budget, Low-Tech, minimaler Einsatz von Technik, Ausreizen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und Materialexperimente im Innenausbau4. Wie bei allen guten Arbeiten verschwinden diese Anstrengungen im Endzustand. Es bleibt die weise Entscheidung scheinbar fast nichts zu machen: Zwischen den kräftigen Breccie-Wänden und dem Betongewölbe ein heller Betonboden und, als würde er hochgehoben, diesen auch auf den überbreiten langen, einfachen Bartisch zu legen. Alle anderen dienenden Elemente (WC- und Küchenblock, Barunterbau, Sitzbank, Tische) nehmen sich zurück, sind fast schwarz, mit einigen angenehmen Ausnahmen: einzelne Möbelstücke in Rosa, die große rostige und grün überwucherte Pflanzenschale, die unter einer undichten wasserspendenden Stelle an der Decke hängt, Hevis Lieblingsinstrument, die Saz5, an der Wand und neben dem Hauptlicht eine einfache und warm leuchtende Stoffschirmstehleuchte. Des Nachts spiegelt sich der Raum in seinen zwei begrenzenden Glasflächen und wird zu einem 3-fachen Gewölberaum. Die flache, zarte, aber trotzdem kräftige brettförmige Leuchte6 über dem Bartisch wirft aus schmalen länglichen Öffnungen ihr Licht ohne Blendung auf die helle Betonfläche, die den Raum in reflektierendes Licht taucht, welches durch das ausgeleuchtete Gewölbe ergänzt wird. Draußen in der großen Loggia gibt es nur Kerzen in vorhandenen Betonnischen und manchmal ein gezähmtes Feuer in einer Schale.
1 Stephanie Topf: geb. 1989 in Vöcklabruck, Studium der Architektur, Soziologie, Anglistik, Amerikanistik in Innsbruck
Alexander Topf: geb. 1989 in Wels, Studium der Architektur in Innsbruck
2 Ergänzend auf www.aut.cc zu lesen: „Der Innsbrucker Bahnviadukt. Lichtakupunkturenentlang eines Stadtmeridians“ (erschienen in aut: info 1/18) und „Die besetzte Mitte und eine viel zu niedere Tür. Das Babalon in den Innsbrucker Bögen“ (erschienen in aut: info 3/19)
3 Als Ort versammelt das „Plansch“ ein Umfeld mit großem Entwicklungspotential. Zwischen Sill und Viadukt „schläft“ das Zeughaus mit einem geplanten Park und das nur selten genutzte Siebenkapellenareal. Der Hinterhof der Bundesbahndirektion wartet auf eine Nutzung, die vielleicht mehr sein kann als ein Parkplatz. Der neugeschaffene Park im Zwickel zwischen Ing. Etzel-, Claudia- und Siebererstraße könnte etwas werden, wenngleich ihm die direkt angeschlossenen belebenden Innenräume fehlen, was möglich gewesen wäre. An dieser Stelle stand einmal das Riesenrundgemälde, das heute auch leer steht und schläft. Wenn man weiterdenkt, könnte aus dem Messegelände auch etwas anderes werden als es heute ist. Aber oft schadet der Schlaf ja nicht – man kann ja träumen.
4 Holzwerkstatt Günter Töpfer
5 Saz ist eine Langhalslaute und wird besonders im östlichen Anatolien gespielt. Die Zeremonien der Aleviten werden durch Sazmusik begleitet.
6 Lichtfabrik Halotech – wieder eine Lichtakupunktur in Innsbruck, vielleicht die schönste.
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 1/22
Ein Text von Rainer Köberl über das "Babalon", Innsbrucks einzige wirkliche Bar, erschienen in: aut: info 3/2019.
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