rainer köberl: "oscar kocht" - das kleinste restaurant innsbrucks
ein "small is beautiful"-beitrag, erschienen in aut: info, nr. 1/2015
Oscar Germes kommt aus Chihuahua. Sein Deutschlehrer in Mexico, ein Innsbrucker, machte ihm Innsbruck schmackhaft. Hier studierte er Politikwissenschaft und arbeitete danach bei SOS Kinderdorf. Er kochte gut und gern und irgendwann bekam er Lust, ein eigenes Lokal zu eröffnen. In den etwas außerhalb der Innenstadt gelegenen Stadtteilen Saggen, Dreiheiligen und Pradl, nahe seiner Wohnung, suchte er einen geeigneten Raum. Dabei bemerkte er mit Bedauern, dass viele ehemalige Geschäftslokale, oft recht notdürftig, zu Wohnungen umgebaut werden. Nach vielen Erkundungstouren erhielt er von einem der – leider immer weniger werdenden – guten Bäcker den Hinweis, dass in Kürze ein Uhrmacher seinen Betrieb in der Defreggerstraße schließen würde.
Seine ArchitektInnen Teresa Stillebacher und Christian Dummer kannten Oscar Germes schon lange, Teresa aus einer Wohngemeinschaft. Sie befreiten den 4,50 x 5,00 m großen und 3,30 m hohen Raum mit seinem großen Panzerglasfenster mit niederem Parapet und hohem Sturz zur Straße von den im Lauf der Jahrzehnte aufgebrachten Vorsatzschalen, abgehängten Decken, Bodenbelägen und Farbschichten und legten die Ursprungsbemalung frei. Danach wurden die dem Essbereich zugeordneten Wände und Wandteile mit naturweißer Spachtelung überzogen. Durch das Auffinden eines Frieses aus Frauenköpfen entstand ein wichtiges Detail: Die Rückwand teilt sich im Drittel in eine verspachtelte weiße und ursprünglich gelb-braun-grünliche Wand. Einer dieser Frauenköpfe an der Farbgrenze wird in der gespachtelten Fläche – wie ein verbindendes „Gelenk“ – durch einen offenen Dreiviertelkreis ausgespart. Dieses „Verklammern“ von Ess- und Kochbereich ist von der Grundstruktur bereits durch die einander diagonal gegenüberliegenden Zugänge – dem Eingang und der Öffnung zu den Lokalnebenräumen – gegeben.
Die Verknüpfung von Straße und Innenraum entsteht einerseits durch das bestehende große Fenster mit seinem bankartigen Parapet und andererseits durch den eigentlichen architektonischen Eingriff: Unter das „Portal“, einem weißen, leicht vor die Fassade springenden flachen Blechkasten über dem großen Fenster und der Eingangstüre, stellen sie dünne weiße Laibungsbleche für den Eingang, die sich organisch zu einem weißen, blechgedeckten Vorbereich und der weißen Kochbar im Inneren entwickeln. Eine kleine runde Öffnung in der die Küche abschirmenden Blechwand des Vorbereichs erlaubt dem Koch, die eintretenden Gäste zu sehen und ergänzt das Thema der kleinen Kreise – wie das erwähnte „Frauenkopfgelenk“, die runden weißen Zuluftventile und die einfach abgehängten Glühbirnen über der Bar, die in Dialog mit dem „Strich“ der Leuchte über dem langen Esstisch für acht bis zehn Gäste treten. Dieser ist von alten Thonetstühlen umgeben und seine Kiefernsperrholzplatte auf weißem Stahlgestell spricht zum gleich materialisierten Eingangstürblatt und der nicht abgeschirmten Küchenarbeitsplatte – „denn man soll alles sehen, was ich mache“ sagt Oscar Germes.
Nächstes Jahr kommt Oscars Vater auf Besuch, er ist Architekt. Er wird das ausgezeichnete Essen genießen und stolz sein auf seinen Sohn, aus dem ein selten guter „Bauherr“ geworden ist.
„oscar kocht“
Defreggerstrasse 21, 6020 Innsbruck
www.oscarkocht.com
architektur Christian Dummer, Teresa Stillebacher
bauherr Oscar Germes-Castro
baubiologische beratung Rainer Höck
tischler Günter Töpfer
schlosser Michael Gassebner
christian dummer
geb. 1981 in Kitzbühel; 2001 – 10 Architekturstudium an der Universität Innsbruck; seit 2007 freier Architekturschaffender; Mitarbeit u. a. bei Coop Himmelb(l)au (Wien), HybridSpaceLab (Berlin) und columbosnext (Innsbruck); seit 2011 Senior Lecturer am Institut für experimentelle Architektur ./studio3 der Universität Innsbruck; 2014 – 15 Auslandsaufenthalt in Santiago de Chile bei Lyon + Beals und Smiljan Radic
teresa stillebacher
geb. 1981 in Imst; 1999 – 2011 Architekturstudium an der Universität Innsbruck und an der
TU Berlin; Mitarbeit u. a. bei LAAC Architekten (Innsbruck), I-Unit Architecture Unlimited (Innsbruck), Stiefel & Company Architects (Wien), Wildruf Form (Wien), Dietmar Feichtinger Architectes (Paris) und Tobias Klein Studio (London); seit 2012 Universitätsassistentin am Institut für Experimentelle Architektur ./studio3 der Universität Innsbruck; seit 2013 als freie Architekturschaffende in Wien und Innsbruck tätig
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 1/15