rainer köberl: schwarz und weiß
Drei kurze Kinogeschichten
das „unsichtbare kino“
Die Idee zum „Unsichtbaren Kino“ entstand 1958 in Gesprächen zwischen Peter Kubelka (1) und den Architekten Johannes Spalt und Friedrich Kurrent und wurde von Kubelka erstmals 1970 in New York und dann 1989 in Wien im Kinosaal des Österreichischen Filmmuseums zu dessen 25-Jahr-Feier realisiert. Das Konzept sah einen total schwarzen Raum vor, in dem durch schwarze, nicht reflektierende Oberflächen und mit „eigenschattenbildenden“ Raumbegrenzungen einzig die vom Strahl des Filmprojektors erleuchtete Leinwand, also der Film, sichtbar ist und so eine maximale Konzentration auf die Filmwelt aus Bild und Ton ermöglicht. (2)
„theaters“
Über 40 Jahre lang, seit 1976, arbeitet Hiroshi Sugimoto (3) an seiner Serie „Theaters“. „Stell Dir vor, Du fotografierst einen ganzen Film in einem einzigen Foto? Du bekommst einen leuchtenden ‚Screen’“, war sein erzähltes Selbstgespräch, während er im „American Museum of Natural History“ fotografierte. Er nahm unbemerkt seine Großformatkamera in ein einfaches Kino im New Yorker Stadtteil East Village mit, betätigte den Auslöser und belichtete mit kleiner Blende die ganze Dauer des Films.
Das Foto, das auf diese Weise entstand, zeigt eine weiße, leuchtende Leinwand, die alle 172.800 Einzelbilder eines zweistündigen Films und deren unterschiedliche Lichtstimmungen „enthält“, in Summe diesen weißen Screen am Foto entstehen ließ und den durch diesen schwach aber deutlich beleuchteten Kinosaal erkennen lässt. So fotografierte Sugimoto zahlreiche Kinos und Autokinos, in gutem und teilweise auch verwahrlostem Zustand, in Amerika und Europa. „Der Überschuss an Licht beleuchtet die Dunkelheit der Unwissenheit.“ (4)
das „weiße kino“
Wegen Corona durfte man im vergangenen Winter zeitweise sein Umfeld nicht verlassen. So auch eine Familie mit drei kleinen Kindern, mit Haus und großem Garten mit viel Schnee in einem Dorf in der Nähe von Innsbruck. „So viel Schnee, so viel Weiß – wir bauen ein Kino!“, war der Ausgangspunkt des Projekts. (5)
Nicht nur Schneefrauen und Schneemänner oder Burgen und Iglus kann man bauen, sondern auch eine Kinoleinwand und den Kinoraum noch dazu. Unter einem Sonnenschirm auf der Schneebank mit Fellauflage und Isomatte ist es fein zu sitzen. Der Eintrittspreis für die Kinder bestand aus zweimal „Hampelmann“ und einmal „auf einem Bein stehen“. Wenn es dunkel wurde, gab es Mannerschnitten, Popcorn und Tee. Alles weiß, alles eins, alles gehört zusammen, wie im griechischen Theater – einfach genial.
(1) Filmemacher und Künstler, geb. 1934 in Wien, Mitbegründer des Österreichischen Filmmuseums (1964) und der Anthology Film Archives in New York (1970) sowie Professor für Film und Kochen an der Städelschule in Frankfurt
(2) Quelle: Das Unsichtbare Kino, www.filmmuseum.at
(3) Japanischer Fotograf, geb. 1948 in Tokio, lebt und arbeitet in New York
(4) Quelle: Theaters by Hiroshi Sugimoto, by Erica McGrath, www.sugimotohiroshi.com
(5) Entwurf: Maria Kittler, geb. 1980 in Innsbruck, Unternehmerin und Mutter von 3 Kindern
Ausführung: Alexander Dörfler, geb. 1982 in Innsbruck, Quantenphysiker, tätig in der Forschungsabteilung von Novartis
Vielen Dank an Catherine Belloy von der Marian Goodman Gallery in New York für die unkomplizierte Erlaubnis, das Foto von Hiroshi Sugimoto abzudrucken, und an Lukas Schaller der die Spur dorthin gelegt hat.
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