rainer köberl: fütterungsstelle in gnadenwald
Ein Kleinod von Albert Weber
„Tiroler Architektur“ hieß eine Ausstellung, die 1982 im Innsbrucker Kunstpavillon stattfand. Damals fiel uns erstmals Albert Weber mit seinen zwei dort aus der Reihe fallenden, präzis konstruierten, kleinen, damals nicht realisierten Holzhäusern auf. Seither und bis heute treffe ich ihn bei fast jedem Hall-Besuch in oder vor den sympathischen Klein-Café-Oasen der Stadt, oder hin und wieder auch in seinem versteckt am Oberen Stadtplatz liegenden, gewölbten und stillen Atelierraum mit kleinem Fenster.
Eigentlich hätte ich schon öfters Arbeiten von Albert besprechen können, aber bis jetzt hatte ich noch nie „angebissen“. Irgendwann, es ist schon ein paar Jahre her, hat mir ganz nebenbei ein Bauherr ein Handyfoto einer Hütte unter Bäumen1 gezeigt – „das ist von Albert“. Vor drei Wochen, ein Wetterumschwung war angekündigt, erfragte ich dann den konkreten Ort dieser Fütterungsstelle, jedoch nicht von Albert selbst, denn ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich darüber schreiben will.
Fast wie es in einem Text von Richard Manahl2 über Lois Welzenbacher3 so schön heißt, „als nach einer Wegbiegung unvermutet, wie ein Reh auf einer Lichtung, das (…) Haus (…) auftaucht“, ist es mir ergangen, als ich nach Überquerung eines Schotterfelds plötzlich dieses Kleinod gewahrte. Ganz japanisch, zart, ungewohnt und doch vertraut, wie eine Kapelle steht es dort, immer wieder zu besuchen, wenn man es einmal gefunden hat. Ich hatte einfach Freude.
Das Tiroler Jagdgesetz fordert vom Jagdausführungsberechtigten dem Muffelwild, das in dieser Gegend vor vielen Jahren ausgesetzt wurde, „ausreichend Futtermittel vorzulegen, soweit es zur Sicherung eines angemessenen Wildbestandes oder zur Vermeidung von Schäl- und Verbissschäden erforderlich ist“4. Die alte Fütterungsstelle war fast am Zusammenfallen. Die Positionierung und prinzipielle Ausrichtung auf dem ebenen Ort, unter einem bewaldeten Abhang, wurde beibehalten, musste doch die Fütterung von einem weit weg befindlichem Beobachtungsplatz gut einsehbar sein, um Zahl und Gesundheit des Wilds kontrollieren zu können. Die Länge des Gebäudes (5 x 2,50 m) ergibt sich aus der Anzahl der Futterplätze, die vom Bauherrn definiert wurden. Die Breite des Baukörpers war dann eigentlich eine „Proportionsentscheidung“, die sich aus der Tiefe des Vordachs entwickelte, welches in Dimension und Neigung mit den darunter sich sammelnden Tieren zu tun hat. Es sind hauptsächlich diese Proportionen und die Dachneigung, die zusammen mit dem Gegensatz zwischen glattem Körper und gerippter Dachuntersicht die außerordentliche Ausstrahlung des Holzgebäudes unter großen Fichten entstehen lassen.
Sowohl der Heubarren als auch der darunter liegende Kraftfuttertrog sind aus dem Innenraum zu befüllen. In ihm befindet sich ein geräusch- und geruchsdichter, einseitig verglaster Beobachtungsraum und das „mäusedichte“ Kraftfutterlager, welches in einem Konstruktionsfeld (drei Paletten breit) unterzubringen war und so das Längenmaß zusätzlich mitbestimmte. Der Kraftfuttertrog war aus hygienischen Gründen anfänglich aus kunstharzbeschichteten Birkensperrholzplatten geplant, jedoch wollte Albert im Grundkonzept bleiben und entschied sich für „richtiges“ Holz, nämlich für massive Bergahornbretter. Ahorn wird auf Grund seiner Dichte für Tischplatten verwendet, ist gut zu reinigen und stellt vor allem keine Verletzungsgefahr für die zarten Tierlippen dar. Die Konstruktion besteht aus Fichtenholz, die Fassade aus sägerauher Lärchenschalung mit offenen Fugen, die neben ihrer Funktion auch Alberts Kindheitserinnerungen an den elterlichen Stadel mit seinen „Lichtklussen“ und uneinsehbaren Beobachtungsmöglichkeiten bergen.
Das alles hat mir Albert in seinem neuen Atelier erzählt. Nur ein paar Meter entfernt neben dem alten. Etwas weniger versteckt, etwas größer, etwas höher, auch gewölbt, mit ein, zwei Fenstern mehr. Es liegt gleich neben der „Schweighofer-Stiege“ – die Leopold Gerstel5 so geliebt hat –, die aus der Eugenstraße hinunterführt zur Salzburgerstraße, wo das Gasthaus „Bretze“ ausgezeichnet renoviert6 vor kurzem neu eröffnet wurde.
1 Die Ortsbezeichnung Gnadenwald ist geographisch nicht ganz korrekt, außerdem wird darauf verzichtet, brauchen doch Wildfütterungsplätze möglichst viel Ruhe, weshalb eine Erhöhung der Besucherfrequenz vermieden werden sollte. Jedoch: „Wer suchet der findet.“
2 Richard Manahl, ARTEC Architekten, Wien
3 Auf www.loiswelzenbacher.at sind nun endlich alle Filme von Lukas Schaller zu den noch existierenden Bauten von Welzenbacher anzuschauen.
4 Zitiert aus dem Tiroler Jagdgesetz
5 Leopold Gerstel (1925 – 2010) war 1982 – 93 Vorstand am Institut für Gebäudelehre und Wohnbau an der LFU Innsbruck. Sein Vortrag „Das Durchschreiten der Stadt – ein surreales Erlebnis“ steht als pdf-file auf www.aut.cc zur Verfügung.
6 Gasthaus Bretze, Salzburger Straße 5–7, Restaurierung: Architekt Geri Blasisker
albert weber
geb. 1946 in Hall in Tirol; 1965 – 74 Architekturstudium an der TU Graz; 1971 und 1972 Sommerakademie Salzburg bei Frei Otto, Rolf Gutbrod und Pierre Vago; seit 1979 eigenes Büro in Hall in Tirol; 1998 – 2006 Lehrauftrag an der Universität Innsbruck am Institut für Hochbau und Entwerfen; 1979 Österreichischer Holzbaupreis (Anerkennung); 2002 Architekturpreis des Landes Burgenland (Auszeichnung)
wildfütterungsstelle
Bauzeit: 2008
Statiker: Andreas Wopfner
Zimmerer: Andreas Fischler (Fischler Holzbau Absam)
Text: Rainer Köberl, aus aut: info 2/22