über tourismus. analysen, szenarien und alternative strategien
ausstellungEine Ausstellung des Architekturzentrum Wien, die zentrale Aspekte des Tourismus beleuchtet und nach Transformationspotenzial sucht.
weiterlesen …
Gekürzte Fassung der Einleitung aus der Begleitpublikation „Über Tourismus“
Zwei Bilder haben den Diskurs über Tourismus in den letzten Jahren besonders stark geprägt: Einerseits die „weißen Bänder“, künstlich beschneite Skipisten in einer tiefgrünen Berglandschaft, und andererseits Besucher:innenmassen, die sich durch Venedig, Barcelona oder Hallstatt zwängen. Das weiße Band symbolisiert den Klimawandel, der sich vor unseren Augen und durch unser Handeln vollzieht, und den Glauben, ihn durch technische Mittel in Schach halten zu können. Die Bilder vom Übertourismus zeigen hingegen eindrücklich, dass unbegrenztes Wachstum auf begrenztem Raum und mit begrenzten Ressourcen nicht möglich ist. Beide rütteln an den Glaubensfundamenten unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft und sind mitverantwortlich dafür, dass die Tourismusdebatte derart emotional aufgeladen ist.
Weiteren Zündstoff lieferte die Corona-Pandemie, als Schulen geschlossen, Skigebiete aber offen hatten, oder als bekannt wurde, in welchem Ausmaß der Tourismus staatlich unterstützt wurde. All das hat nicht dazu beigetragen, die dringend notwendige Diskussion über eine Neuorientierung des Tourismus sachlich und konstruktiv zu führen.
Während die eine Seite versucht, in sich drastisch wandelnden Zeiten am Status quo festzuhalten und eine Vogel-Strauß-Taktik betreibt, nimmt die andere Seite die Auswüchse dieser Branche mit wachsendem Unmut wahr und beginnt sich lautstark zu wehren. Aber dazwischen existiert eine Vielzahl innovativer, mutiger, idealistischer und visionärer Akteur:innen, die ihre Ideen und Projekte im Zusammenhang mit einem verträglicheren Tourismus bereits umsetzen. Diese Projekte zeigen, wie es gehen könnte: Ein Tourismus, der nicht das zerstört, wovon er lebt; der nicht auf sozialer Ungleichheit beruht; der Rücksicht nimmt auf Klima und Umwelt. Inmitten der aufgeheizten Debatte gehen diese jedoch oft unter.
Mit „Über Tourismus“ wollen wir einen Beitrag zur Diskussion über die Neuaufstellung des Tourismus in dieser Zeit des Umbruchs leisten und zur Vermittlung zwischen verhärteten Fronten Projekte präsentieren, die einen überlebensfähigen Tourismus jenseits des Wachstumsmandats vorleben. Denn Verantwortung gegenüber der Umwelt, dem Klima, dem sozialen und wirtschaftlichen Gleichgewicht und den Bereisten muss in Zukunft im Fokus des Tourismus stehen.
Unbestritten stellt der Tourismus weltweit einen wichtigen Wirtschaftszweig dar, trägt in vielen Regionen wesentlich zur Wertschöpfung und zum Wohlstand bei, schafft Arbeitsplätze, verhindert Abwanderung, zieht Kulturinteressierte an und fördert im besten Fall auch Toleranz und Bildung. Gleichzeitig befeuert der Tourismus den Klimawandel und ist für Umweltschäden, Bodenverbrauch, Menschenmassen, Müllberge und erhöhten Wasserverbrauch verantwortlich. Im Bestreben, dem internationalen Reisepublikum einen globalen Standard zu bieten, gehen lokale Besonderheiten verloren, und das Geld, das mit dem Tourismus Einzug hält, lässt die Lebenshaltungskosten und die Immobilienpreise steigen und kann paradoxerweise wieder zu Abwanderung führen.
Bereits während unserer Arbeit an der Ausstellung „Boden für Alle“ stießen wir im Zusammenhang mit dem Bodenverbrauch immer wieder auf das Themenfeld des Tourismus. Ob Gletscher-Ehen, überdimensionierte Bettenburgen, plattformgestützte touristische Kurzzeitvermietungsangebote, Buy-to-let-Modelle oder die Vielzahl an Freizeitwohnsitzen: Sie stellen mitunter grobe Eingriffe in die Umwelt dar, verbrauchen wertvollen Boden oder heizen die Immobilienpreise an und verknappen damit das Wohnangebot für Ortsansässige. Lange Zeit wurde vor allem Quantität gebaut, mit wenig Gespür für Umgebung und lokale Baukultur.
So entstanden Idee und Konzept für eine Ausstellung, die sich den Auswirkungen des Tourismus auf die gebaute – und unbebaute – Umwelt widmet. Im Rahmen unserer Recherche führten wir Gespräche mit Expert:innen aus Architektur, Raumplanung, Tourismuswerbung, Gastronomie, Hotellerie und Politik. Oft mussten wir im Vorfeld Misstrauen entkräften, da viele Touristiker:innen das Gefühl hatten, ihre Branche falle einer medialen Vorverurteilung zum Opfer. Wir identifizierten aber auch eine umfassende Anzahl an großartigen Initiativen und Projekten, die Lösungsansätze zu all den in der Ausstellung aufgeworfenen Problemfeldern bieten, im generellen „Marktgeschrei“ der Tourismusindustrie jedoch leider meist ungehört bleiben.
Immer mehr Menschen reisen öfter, weiter und kürzer. Dass diese Entwicklung so nicht weitergeführt werden kann, scheint evident, die Verantwortung für die Abkehr vom Business-as-usual-Weg wird aber gerne auf die jeweils „anderen“ abgewälzt. Um einen zukunftsfähigen Tourismus zu verwirklichen, wird sich einiges verändern müssen. In einem ersten Schritt gilt es, Bewusstsein für das Thema zu schaffen, Aufklärung zu leisten und eine kritische Auseinandersetzung anzuregen. Notwendige Veränderungen und Beschränkungen müssen positiv aufgeladen werden, um für breite Teile der Bevölkerung nicht nur annehmbar zu sein, sondern als erstrebenswert zu gelten. Der gewonnene Mehrwert muss in den Vordergrund gehoben werden, damit der Diskurs nicht sofort und ausschließlich als spaßverderbender Verzicht oder gar Rückschritt in die Steinzeit verunglimpft wird. Um dies zu bewerkstelligen, wird es die Politik und die Tourismuswirtschaft gleichermaßen brauchen wie die Reisenden selbst.
Die Politik muss sich ihrer Verantwortung gewahr werden, auch das gute Leben künftiger Generationen zu sichern. Raumplanung und Architektur dürfen nicht als Erfüllungsgehilf:innen von Immobilieninvestor:innen missbraucht werden. Zweck von Architektur ist nicht primär die Wertsteigerung, sondern die Schaffung einer qualitätsvollen Umwelt für alle. Die Tourismus- und Freizeitwirtschaft ist für ihre innovative Kraft bekannt. Man kann darauf vertrauen, dass sie sich auch an geänderte Rahmenbedingungen wird anpassen können. Wesentlich wird eine verstärkte Entkoppelung des touristischen Angebots vom Mandat des Wachstums sein. Für alle Reisenden wiederum wäre es an der Zeit, dem Argument „Der Gast will das!“ entgegenzutreten. Jede / r trägt mit ihren / seinen Entscheidungen zum Erhalt oder zur Veränderung der jetzigen Situation bei und bestimmt mit, ob Tourismus als reiner Konsum betrieben oder dem Reiseziel auch etwas „zurückgegeben“ wird.
Auszug aus der Begleitpublikation „Über Tourismus“ des Architekturzentrum Wien
Erhältlich im aut bzw. über das Az W zu bestellen
karoline mayer
studierte Architektur in London und Kopenhagen. Von 2011 bis 2024 war sie im Architekturzentrum Wien tätig. Dort etablierte sie u. a. den Architektur.Film.Sommer, ein jährlich stattfindendes Architekturfilmfestival. Als Kuratorin war sie für Ausstellungen wie „Über Tourismus“, „Boden für Alle“ oder „Form folgt Paragraph“ verantwortlich. Mit Projekten wie dem Film „Ein Ort, der Gold wert ist“ oder dem Festival „Simmering works!“ beschäftigte sie sich mit dem industriellen Erbe der Stadt Wien und machte dieses für ein breites Publikum greifbar. Seit 2024 ist sie Teil des kuratorischen Teams des Hauses der Geschichte Österreich.
katharina ritter
studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und arbeitet als Kuratorin und Autorin in den Bereichen Architektur und Urbanismus. Sie ist Mitglied des Österreichischen Baukulturbeirats und wirkt in verschiedenen Jurys und Advisory Boards mit. Seit 1994 als Kuratorin für das Architekturzentrum Wien tätig, u. a. für die Ausstellungen „Größere Gegner gesucht“ (1998), „The Austrian Phenomenon. 1958 – 1973“ (2004), „Alexander Brodsky“ (2011), „Sowjetmoderne. 1955 – 1991“ (2012), „Form folgt Paragraph“ (2017), „Boden für Alle“ (2020 – 2023 mit über 20 Stationen in ganz Österreich) und „Über Tourismus“ (2024).
Eine Ausstellung des Architekturzentrum Wien, die zentrale Aspekte des Tourismus beleuchtet und nach Transformationspotenzial sucht.
weiterlesen …