grassmayr-kreuzung in innsbruck
Offener Brief mit einer Stellungnahme des aut. architektur und tirol zum vorliegenden Projekt "Umbau Grassmayr-Kreuzung" in Innsbruck. Offener Brief vom 29. November 2012
weiterlesen …Offener Brief von Arno Ritter an Gemeinderätin Marie-Luise Pokorny-Reitter
Offener Brief vom 7. Dezember 2012
AnGrassmayr-Kreuzung in Innsbruck
„Offene Antwort“ auf deine „Offene Antwort“
Sehr geehrte Frau Gemeinderätin Pokorny-Reitter, liebe Marie-Luise!
Auch ich danke Dir, dass du Dir die Zeit genommen hast, auf unseren Offenen Brief zu reagieren und ich finde es spannend, dass dieser Anlass vielleicht dazu führen könnte, dass ein Dialog über die zukünftige Stadtentwicklung von Innsbruck entsteht. Denn wie du weißt, verfolgen wir die Stadtentwicklung von Innsbruck seit Jahren und versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten immer wieder Themen zu behandeln, Fragen zu stellen oder Projekte zu hinterfragen, ohne polemisch oder oberflächlich zu sein.
Du hast zwar recht, dass wir uns nicht aktiv in den letzten Monaten in die Diskussion über die Kreuzung „eingemischt“ und das Gespräch mit den beteiligten Abteilung der Stadt nicht geführt haben, aber das lag vor allem daran, dass wir erst über die mediale Berichterstattung von der Dringlichkeit des Projekts erfahren haben. Als wir dies wussten, habe ich mir die Pläne und Unterlagen besorgt und in einer Vorstandssitzung im aut am 20.11.2012 offen zur Diskussion gestellt. Aufgrund der Pläne – und Pläne sind Informationsträger, die Architekten gelernt haben zu lesen – haben wir intensiv diskutiert und sind zu dieser Stellungnahme gekommen, die meiner Meinung nach grundsätzliche Fragen zur zukünftigen Entwicklung der Stadt Innsbruck aufwirft. Unser Brief versucht städtebauliche und strategische Argumente zu formulieren, die die Stadtentwicklung von Innsbruck betreffen und über das konkrete Projekt hinaus gehen.
Natürlich löst das Projekt einige derzeit vorhandene Probleme – wir möchten mit unserem Brief die Arbeit von Dir und den involvierten Personen nicht desavouieren – , aber es schafft unserer Meinung nach keine nachhaltige Lösung. Denn uns erscheint das vorliegende Projekt – das ja bereits seit Jahrzehnten verfolgt wird – den heutigen Kriterien der Stadtentwicklung in seiner Ausrichtung nicht zu entsprechen. Insofern geht es uns in dem Offenen Brief darum, eine Strategieänderung in der Planung anzuregen, um gemeinsam in Anbetracht der globalen Entwicklungen Innsbruck zukunftsfähig gestalten zu können. So gesehen werfen wir Fragen auf, die zu diskutieren uns spannend erscheinen. Dass Du in Deinem Brief nicht wirklich auf diese Argumente und Anregungen eingehst, hat mich ein wenig überrascht.
Im Folgenden möchte ich auf jene Punkte antworten, die Du in Deinem Brief als positive Argumente für den Bau der neuen Grassmayr-Kreuzung anführst:
1.
Grundannahme des vorliegenden Projekts ist die Prognose, dass in den kommenden Jahren mehr Autoverkehr auf dem Südring bewältigt werden muss und daher eine Optimierung der Kreuzung erfolgen soll. Wenn die Zahlen stimmen, dass mit dem Ausbau mehr als 60.000 Autos – also knapp 20.000 Autos mehr als heute – diesen urbanen Raum benutzen sollen, stellt sich die Frage, wie eine Optimierung des Verkehrsflusses eine Verkehrsentlastung der
Stadt nach sich ziehen soll. Denn wenn man dem Individualverkehr die Möglichkeit gibt, besser und schneller in die Stadt zu kommen, werden die AutofahrerInnen dieses Angebot sicher annehmen. Schafft man hingegen Alternativen, wird sich langfristig eine Verhaltensänderung einstellen. Die IVB und Landesrat Steixner haben in den letzten Jahren viel dazu beigetragen, dass eine Änderung im Mobilitätsverhalten der TirolerInnen unterstützt und damit möglich wurde. Insofern mutet es eigenartig an, wenn man diese langfristig richtige Strategie durch die Grassmayr-Kreuzung mit öffentlichen Mitteln konkurriert.
2.
Zum Argument der bereits vorhandenen politischen wie behördlichen Beschlüsse, kann ich nur sagen, dass in der Vergangenheit immer wieder Beschlüsse getroffen wurden – ich erinnere an das Kaufhaus Tyrol – die letztendlich nicht umgesetzt oder aufgrund neuer Realitäten aufgehoben wurden. Man kann ehemalige Beschlüsse ändern, wenn gute Argumente dafür sprechen. Diese zu formulieren ist derzeit unser Anliegen.
3.
Optimiert man die Anbindung der Südbahnstrasse an den Südring, stellt sich die Frage, wie der Verkehrsfluss in weiterer Folge verteilt werden soll. Denn es ist zu erwarten, dass es aufgrund der – durch das vorliegende Projekt unterstützten – Zunahme des Individualverkehrs bei der Engstelle im Bereich des Bahnhofes sicher zu einem Stau in der Südbahnstrasse kommen wird und viele AutofahrerInnen in die Nebenstraßen von Wilten ausweichen werden. Grundsätzlich sollte man sich heute aber fragen, ob es eigentlich langfristig sinnvoll ist mehr Autoverkehr in die Stadt zu generieren oder dieser nicht vielmehr langfristig subtil zurückgedrängt werden soll, wie es andere Städte in Europa seit Jahren praktizieren? Kopenhagen hat in den letzten Jahren den Individualverkehr sukzessive zurückgedrängt, der alternativen Mobilität den „roten Teppich“ ausgebreitet und damit sowohl ökonomisch wie in Bezug auf die Lebensqualität profitiert.
4.
Wir können im derzeitigen Entwurf keine von Dir formulierte „Reduktion der Trennwirkung des Südrings“ erkennen, denn diese wird durch den Hochbau wie auch durch die beiden Tunnelrampen eigentlich stadträumlich noch verstärkt. Gerade in den Bereichen der Auf- und Abfahrten entsteht durch die Perforierung des Südrings eine neue Barriere, die an der Oberfläche nicht zu überwinden ist. Auch die „Tunnel“ für die RadfahrerInnen und FußgängerInnen erzeugen unserer Meinung nach weder einen wirklich emotionalen noch einen faktisch verbindenden Effekt. Oder kennst Du Unterführungen bzw. Tunnellösungen, die eine positive Atmosphäre erzeugen und die gerne benutzt werden? Gerade heute, wo man Stadtraum „gendert“ und soweit wie möglich Tunnellösungen oder Unterführungen vor allem für FußgängerInnen zu vermeiden versucht, erscheint die jetzige Wegführung suboptimal zu sein. Unserer Meinung nach sollten die Zeiten vorbei sein, in denen man die Stadtoberfläche den Autos reserviert und die FußgängerInnen in Unterführungen und auf Rampen direkt neben dem Autoverkehr kanalisiert werden.
5.
Studiert man die Pläne, so fällt auf, dass ein überwiegender Anteil der urbanen Fläche dem Autoverkehr gewidmet ist, also keine andere Nutzung möglich ist. Die alternative Mobilität wird hingegen an den Rand des Straßenraums „gedrängt“ und der öffentliche Verkehr erhält keine sichtbare Aufwertung. Unserer Meinung nach sollte aber gerade dieses Verhältnis in einer zukunftsfähigen Planung umgekehrt proportional gedacht werden.
6.
Auch Deine Feststellung, wonach der Südring gestalterisch aufgewertet wird, können wir nicht nachvollziehen. Uns erscheint das derzeitige Projekt eher an ein Beispiel aus der Planungsgeschichte von Innsbruck zu erinnern, nämliche an den Stadtraum um den so genannten „Wifi-Tunnel“, dessen „urbane Qualität“ nicht wirklich überzeugt, keine Aufwertung für den Stadtraum bringt und faktisch keinen verbindenden Effekt zwischen den beiden Stadtteilen erzeugt. Dieser urbane Bereich wurde zwar im Sinne des Autoverkehrs optimiert, aber es entstand keim Mehrwert.
7.
Dein Argument, wonach eine „Verbesserung der Haltestellenbereiche für den öffentlichen Verkehr“ erreicht wird, lässt sich auf den Plänen nicht wirklich herauslesen, denn durch die beiden Auf-
bzw. Abfahrtsrampen entsteht im wahrsten Sinne des Wortes eine echte „Haltestelleninsel“, die zwischen dem Autoverkehr eingeklemmt ist. Welchen Mehrwert diese Lösung für die Fahrgäste der IVB erzeugen soll, ist für uns nicht ersichtlich.
8.
Die über dem Tunnel neu geplante „Grünfläche“ schafft unserer Meinung nach auch keine qualitative Aufwertung des Südringes,
da sie durch die zwei Nebenfahrbahnen zerschnitten ist und keine Aufenthaltsqualität aufzuweisen hat. Diese „Restfläche“ wird
sicher keine neue Adresse werden, an der man sich treffen und aufhalten will.
9.
Die Tunnellösung, wonach zwei Fahrspuren von Osten zu einer Fahrspur reduziert werden, erscheint uns auch nicht wirklich ideal zu sein – dies führt sicher zu Stau oder schlimmstenfalls zu Unfällen –, wobei dieses Argument für uns nur ein Nebenargument ist, da wir die Tunnelvariante an sich für nicht sinnvoll erachten.
10.
Dein Argument, wonach der Bau der Grassmayr-Kreuzung die zukünftige Bebauung des Südringes attraktivieren wird, erscheint uns in den Plänen nicht sichtbar zu sein. Denn gerade in diesen Bereichen, wo konkrete Wohnbauten vorgesehen sind, befinden sich zwei Nebenfahrbahnen und die Ab- wie Auffahrtsrampen des Tunnels, deren konkrete Auswirkungen – Lärm wie Abgase – man real am besten bei den beiden vorhandenen Rampen und Nebenfahrbahnen im Bereich des Kreisverkehrs Innsbruck Mitte beobachten und synästhetisch wahrnehmen kann. Auch am westlichen Ende der Tunnellösung lässt sich nicht erkennen, wodurch die Anwohner von diesem Projekt in Bezug auf ihre Lebensqualität profitieren werden.
11.
Die in Deinem Brief angeführte Verbesserung der „Kreuzungssituation für die FußgängerInnen“ erscheint auf den Plänen nicht in
dem Maße zu erfolgen, wie es unserer Meinung nach sinnvoll wäre, denn diese werden weiterhin über Zebrastreifen und durch Ampeln geregelt über den Südring geführt, also nicht wesentlich anders als in der heutigen Situation. Gleichzeitig verlieren sie aber durch die beiden Rampen und durch den Hochbau die Möglichkeit den Südring jenseits der verordneten Übergänge zu queren. Gerade in Innsbruck, wo man seit Jahren eine Stadt der kurzen Wege und der Fußläufigkeit propagiert, erscheint uns dieser Umgang mit
den FußgängerInnen nicht adäquat zu sein. In diesem Sinne mutet es auch eigenartig an, wenn man die kreuzungsfreie Anbindung
des Autoverkehrs in die Stadt als positiven Mehrwert des Projekts anführt, gleichzeitig aber der alternativen Mobilität weiterhin Ampeln und Zebrastreifen „verordnet“.
Der Südring als urbaner Raum hat ein Problem, das steht außer Zweifel, aber unserer Meinung nach löst das vorliegende Projekt dieses nicht nachhaltig. Insofern wäre es sinnvoll, wenn man über eine alternative und zeitgemäße Lösung nachdenken könnte, die den Südring als urbanen Lebensraum denkt, dem Auto planlich eine untergeordnete Rolle zuweist und der alternativen Mobilität räumlich jene Hauptrolle zugesteht, die sie in Zukunft faktisch haben wird. Denn die Stadt der Zukunft ist keine, die das Auto zum Primat der Planung macht und aus der Perspektive des Lenkrades gestaltet wird.
Ich hoffe, dass ich Dir hiermit mehr Einblick in unsere Überlegungen gegeben habe und freue mich schon auf eine spannende Diskussion mit Dir, allen Fachabteilungen der Stadt und den VertreterInnen des Innsbrucker Gemeinderates.
Schöne Grüße
Arno Ritter
Leiter aut. architektur und tirol
Offener Brief mit einer Stellungnahme des aut. architektur und tirol zum vorliegenden Projekt "Umbau Grassmayr-Kreuzung" in Innsbruck. Offener Brief vom 29. November 2012
weiterlesen …Seit der Gründung mischt sich das aut konstruktiv in aktuelle politische Diskussionen in Innsbruck und im Land Tirol ein, häufig in Abstimmung mit der Kammer der ZiviltechnikerInnen und der ZV Tirol.
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