Beitrag aus der Publikation "Fantastische Hypothesen. 10 Jahre bilding. Kunst- und Architekturschule für Kinder und Jugendliche", Innsbruck 2025
Es begann an dem kleinen schwarzen Besprechungstisch im Adambräu, der mein Leben hier in Innsbruck von Anfang an begleitete und viele Diskussionen wie Entscheidungen mithörte. Monika Abendstein hatte gerade ihren ersten Kongress zur Vermittlung von Architektur an Schulen in Venedig im Sommer 2012 erfolgreich hinter sich gebracht, und ich hatte nur noch wenige Wochen, bis der von mir als „Kommissär“ kuratierte österreichische Beitrag auf der Architekturbiennale abzubauen war, als wir uns an den Tisch setzten, um über die weitere Zusammenarbeit zu reden.
Denn Moni hatte über Jahre das Vermittlungsprogramm für Kinder und Jugendliche im aut. architektur und tirol aufgebaut, ein großes Netzwerk zu Lehrer:innen an unterschiedlichen Schulen in Tirol geknüpft und daneben noch die sogenannte KUNSCHTschule gegründet, die ohne fixen Ort durch Innsbruck vazierte. Im Zuge unseres Gesprächs wurde klar, dass Moni im Adambräu wegen der begrenzten räumlichen Möglichkeiten keine adäquate Perspektive mehr sah und vor allem die weitere Existenz der KUNSCHTschule mehr als unsicher war.
Recht spontan und im Nachhinein eigentlich naiv – eine Einstellung, die man niemals aufgeben sollte – entschieden wir uns, ein Gebäude zu errichten, in dem die Vermittlung von Architektur und Kunst möglich sein und das vor allem im öffentlichen Raum präsent sein sollte. Denn ein zentrales Ziel war für uns von Anfang an, dass Kinder und Jugendliche über und in das Haus einfach stolpern sollen, damit ein möglichst diverses Publikum, ohne Hemmschwellen, erreicht wird.
Ohne Geld und Ort, aber mit der Kraft unserer Überzeugung machten wir uns auf den Weg in die Amtsstuben und zu einigen der damals politisch Verantwortlichen in der Stadt Innsbruck und waren eigentlich überrascht, dass es nur hieß: Schaut einmal, dass ihr einen Ort findet, der sich im Eigentum der Stadt befindet, und dann können wir weiterreden.
Mit dem Rad fuhren Moni und ich quer durch Innsbruck, besichtigten den Waltherpark, in dem das aut bereits zweimal räumliche Interventionen initiiert hatte, landeten letztendlich aber immer wieder im Rapoldipark, der mit seiner Lage zwischen unterschiedlichen Stadtquartieren und seiner über die Jahreszeiten hinweg intensiven Nutzung von ganz unterschiedlichen Personen sozialer wie ethnischer Herkunft und unterschiedlichen Alters uns letztlich als „richtiger“ Ort erschien.
Im Herbst 2013 entstand die Idee, einen kollektiven Entwurfsprozess zu starten, an dem sich eine kleine Gruppe von Architekt:innen aus dem inneren Kreis des aut beteiligte. Nach mehreren Begehungen des Parks wurden bei Workshops erste Konzepte formuliert, ein grobes Raumprogramm konkretisiert und Überlegungen zu möglichen Bauplätzen angestellt. Letztlich wurde ein hinter dem Städtischen Hallenbad gelegener aufgelassener Skaterplatz als Ort definiert, eine Überlegung, die von der damaligen Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer grundsätzlich unterstützt wurde.
Wir kamen aber bald zur Erkenntnis, dass ein gemeinsamer Entwurfsprozess zwischen relativ unterschiedlichen Architekt:innen, die eigentlich gewohnt sind, bei Wettbewerben in kreativer Konkurrenz zu agieren, nicht wirklich zu einem tragfähigen, vor allem aber auch gruppendynamisch verträglichen Ergebnis führt. Die in zahlreichen Diskussionen erarbeiteten konzeptionellen Überlegungen waren jedoch für die weitere Entwicklung des Projekts äußerst wichtig.
Im Gegensatz dazu verlief der Namensfindungsprozess für das Gebäude mit einer Gruppe von Grafiker:innen und Künstler:innen weitgehend friktionsfrei, denn er führte relativ schnell zum „bilding“, einem das zukünftige Konzept stimmig vermittelnden Wortbild. Denn aus den beiden Begriffen „Bild“ und „Ding“, die den malerischen und grafischen, aber auch den handwerklichen Schwerpunkt des damals noch schemenhaften Bauwerks vermitteln, klingt in der alltäglichen Aussprache das englische „building“ durch, also jenes zentrale Thema in unserem Konzept, das sich um Architektur, Stadt- und Baukultur dreht.
Zusätzlich versteckt sich leise die „Bildung“ im „bilding“, wobei unsere Intention eigentlich gegen die vorherrschende Bildungspolitik gerichtet war, da sie die individuelle Kreativität der Kinder und Jugendlichen und die damit verbundenen Fächer sukzessive an den Rand des Konzepts von Schule schiebt. Moni ergänzte das bilding noch um den Untertitel „Kunst- und Architekturschule“, was ich anfänglich für kontraproduktiv erachtete, da ich das bilding nicht als „schulisches“ Modell, sondern als Freiraum für die Unterstützung des vorhandenen kreativen Potenzials und der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen ansah.
Diese unglaubliche intrinsische Kraft wird in den Schulen nicht unbedingt gefördert, sollte im bilding jedoch aufblühen können. Moni wollte aber mit dem Wort „Schule“ der breiten Öffentlichkeit einen niederschwelligen Zugang, Ernsthaftigkeit und gesellschaftliche Relevanz der Einrichtung vermitteln und lesbar machen, dass ein pädagogisches Konzept verfolgt wird und das bilding kein „Bespaßungsraum“ ist. Mittlerweile hat sich der Name, ohne Untertitel, im alltäglichen Gebrauch weitgehend durchgesetzt und wurde zur Marke des einmaligen Konzepts.
Eine Zeitlang schien es, als kämen wir mit den unterschiedlichen Überlegungen zum Gebäude – wie etwa ein gebrauchtes Glashaus einer Gärtnerei zu verwenden – nicht weiter, bis die Überlegung entstand, das Projekt von Studierenden am Institut für experimentelle Architektur ./studio 3 von Volker Giencke bearbeiten zu lassen. Mit seiner Unterstützung und der Betreuung von Verena Rauch, Walter Prenner und Wolfgang Pöschl konnte eine Gruppe von fast 30 Studierenden motiviert werden, einen zweisemestrigen Crashkurs von den ersten städtebaulichen wie konzeptionellen Überlegungen bis zur finalen handwerklichen Umsetzung zu durchlaufen.
Im Wintersemester 2014 wurde ein Entwurfsprozess mit der Vorgabe gestartet, die Baumaterialien und Produkte jener Firmen zu verwenden, die parallel dazu von uns als Unterstützer des Projekts gefunden werden konnten. Im Dezember 2014 wählte eine Jury aus 17 Beiträgen das Projekt von Niklas Nalbach zur weiteren Bearbeitung aus, das letztlich dank der unentgeltlichen Leistung des Statikers Alfred Brunnsteiner und dem Einsatz vieler Firmenvertreter:innen kollektiv realisiert wurde.
Sehr berührend war, dass alle Studierenden bereit waren, an dem Entwurf eines Kollegen konstruktiv weiterzuarbeiten, angefangen von den Plänen für die CNC-Fräsungen der Holzkonstruktion über die Möblierung und Beleuchtung bis zu den letzten Schrauben an den Außenanlagen. Ihr unglaubliches Engagement hat das Projekt erst möglich gemacht, und einige Studierende sind bis heute mit dem bilding eng verbunden, weil sie immer wieder am Programm mitarbeiten und damit einen weiteren persönlichen Beitrag leisten, ohne den das bilding nicht leben könnte.
Parallel zu dieser Baugeschichte gingen Moni und ich auf Fundraising-Tour bei allen möglichen Organisationen und Persönlichkeiten, denn wir mussten sowohl Firmen für die Realisierung des Gebäudes finden als auch vor allem Geld auftreiben, um die laufenden und nicht durch Sponsoring getragenen Kosten zu decken, zumal wir uns das Ziel gesetzt hatten, den Bau ohne öffentliche Förderungen zu finanzieren.
In dieser schwierigen „Henne-Ei-Situation“ half uns vor allem die Rückendeckung von Peter Gaugg, damaliger Sprecher des Vorstandes der BTV Bank für Tirol und Vorarlberg, und Christoph Achammer, Vorstandsvorsitzender der ATP AG, die über einen Kreditrahmen und die Haftung der ATP AG die Zwischenfinanzierung sicherten. Zusätzlich aktivierten Christoph und Barbara Achammer ihre persönlichen Netzwerke zu Firmen und riefen eine Bausteinaktion ins Leben, die vor allem architektur- und kunstaffine Bürger:innen animierte, das Projekt finanziell zu unterstützen.
Ähnlich den Gründungen einiger Museen im 19. Jahrhundert, wie das MAK in Wien oder das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck, die von einem selbstbewussten Bürgertum als Gegenkonzept zu den herrschaftlichen k. u. k. Institutionen initiiert wurden, sollte auch das bilding von einer Zivilgesellschaft ermöglicht werden. Wie viel Risiko wir mit allen Beteiligten eingingen, war uns damals nicht wirklich bewusst, aber letztlich konnten wir das bilding durchfinanzieren.
Dieses kollektive Engagement, diese „geronnene“ Energie aller beteiligten Firmen und Personen, macht für mich auch die Einmaligkeit des bilding aus, da es ein Bottom-up-Projekt gegen ein herrschendes Manko und vor allem für dessen Auflösung ist und beweist, dass eine an einem runden Tisch entstandene Idee Realität werden kann, wenn viele Menschen daran glauben und im positiven Sinn Zeit und Energie dafür „verschwenden“.
Jetzt, zehn Jahre später und gereift an der gelebten Praxis, überrascht es mich immer wieder, dass das bilding an dem ehemals „kontaminierten“ Ort im Rapoldipark bis heute unversehrt geblieben ist, weder sein sensibles „Kleid“ geritzt oder besprüht wurde noch das Konzept an Strahlkraft verloren hat, sondern über die Landes- und auch Staatsgrenzen hinweg ein Vorzeigeprojekt ist.
Denn noch immer kommen Personen und Delegationen aus Nah und Fern, um es räumlich wie konzeptionell kennenzulernen, und fast niemand verlässt es, ohne irgendwie davon berührt zu sein. Zwar gewann das bilding in den ersten Jahren einige nationale wie internationale Architekturpreise, was anfänglich für die öffentliche Wahrnehmung und das interne Selbstbewusstsein nicht unwichtig war, aber eigentlich das Wesentliche nicht im Fokus hatte: nämlich sein einmaliges Konzept, das alle kreativen Felder umfasst – von der Malerei und Bildhauerei über den Film und die Grafik bis zur Architektur und dem Design.
Zentral dabei aber ist, dass diese künstlerischen Themen von Personen vermittelt werden, die selbst in Werkstätten, Ateliers oder Büros malen, zeichnen, designen, entwerfen, Filme machen oder Bücher gestalten, also aus der Praxis kommen und so die Kreativität ad personam verkörpern. Auf Augenhöhe wird daher mit den Kindern und Jugendlichen interagiert und ihre kreativen Seelen unterstützt.
Ein Ziel des bilding ist aber nicht, dass diese Erfahrung zu einer Biografie in einem kreativen Beruf führen soll, sondern dass die handwerkliche und intellektuelle Auseinandersetzung mit gestalterischen Fragen und die künstlerische Übersetzung der Antworten vor allem in sicht- und spürbare Materialität das Bewusstsein schärft und damit zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.
Denn Kinder haben auf eine Frage viele Antworten, am Ende ihrer Schulbiografie aber oft nur mehr eine, und diese wurde ihnen im Unterricht beigebracht. Wir sollten aber das Konzept der Bildung reformieren, um die von der Wissenschaft fragmentierte und vermessene Welt wieder zusammenzufügen und dabei die ursprüngliche Kraft der Kreativität zuzulassen. Denn um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können, benötigen wir viele kreative Antworten, die abseits der Norm entstehen und eventuell im bilding vorbereitet wurden.