Offener Brief "Kostenexplosionen, Architekturwettbewerbe und Baukultur"
Ein offener Brief der ArchitektInnenschaft aus gegebenen Anlass vom 20. November 2018
Dieser offene Brief wurde am 20. November 2018 an VertreterInnen von Politik und Verwaltung in der Stadt Innsbruck und im Land Tirol, an JournalistInnen lokaler und fachbezogener Medien, an die Mitglieder und den Verteiler des aut verschickt. Beigelegt wurde zur Information die Petition der Architekten Loudon, Habeler & Kirchweger für einen korrekten und fairen Umgang mit Gewinnern von Wettbewerben. (>> Petition downloaden).
Sehr geehrte PolitikerInnen, sehr geehrte PressevertreterInnen, liebe Mitglieder des aut, liebe Architekturinteressierte!
Die anhaltende Diskussion um Kosten und Verfahren für den geplanten Neubau des MCI und die Ankündigung einer Neuausschreibung veranlasst uns – die ArchitektInnenschaft, vertreten durch die Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen, die Kammer der ZiviltechnikerInnen für Tirol und Vorarlberg, das aut. architektur und tirol, die Zentralvereinigung der ArchitektInnen, Tirol sowie die Architekturfakultät Innsbruck – zu diesem Schreiben. Um einerseits die Ursachen der dargelegten „Probleme“ zu hinterfragen und andererseits ein Plädoyer für die Leistungen und die Integrität der ArchitektInnenschaft zu verfassen.
Das MCI sei diesbezüglich nur beispielhaft erwähnt, da keine Woche vergeht in der nicht über „explodierende“ Baukosten in den Tageszeitungen zu lesen ist. Die Kausalität, die Frage nach der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung scheint dabei in der Analyse vernachlässigt zu werden. Stattdessen wird eilig reagiert, schnell werden vermeintlich Schuldige ausfindig gemacht und alternative Prozesse initiiert. Prozesse, die offensichtlich auf ähnlich überhasteten Überlegungen basieren, wie auch die Entscheidungen innerhalb der Projektvorbereitungs- und Überarbeitungsphase, die schlussendlich in ein Dilemma führten.
Die Projektvorbereitungsphase dient dazu ein konkretes Bauvorhaben zu formulieren, Projektziele zu definieren, um damit eine konkrete „Bestellung“ aufzugeben. Diese Phase muss zu einer Synthese komplexer Rahmenbedingungen führen, wie Kostenrahmen, Funktions- und Nutzungskonzept sowie Qualitätsansprüche architektonischer und städtebaulicher Art. Fehlt der Projektvorbereitungsphase das notwendige Verständnis der Komplexität und Zusammenhänge solcher Bauvorhaben, verliert sie den Blick auf das Projekt an sich und führt fast unweigerlich zu jenen Diskrepanzen, die unter anderem in sogenannte „Kostenexplosionen“ enden können.
Beim Neubau des MCI wurde über Baukostenexplosionen berichtet, diese aber nicht nachvollziehbar und transparent belegt. Die Presse kolpotiert anhand vieler und nicht vergleichbarer Zahlen und in Ermangelung einer differenzierten Kenntnis um Baukosten, Bauwerkskosten, Errichtungskosten und Investitionskosten ein äußerst diffuses Gesamtbild in der Wahrnehmung von Kosten in der Öffentlichkeit. Dadurch entstehen verzerrte Rückschlüsse, die die ArchitektInnenschaft zu Unrecht belasten und ihrem Ansehen schaden. Im Fall des MCI halten wir klar fest, dass seitens der Architekten, die mit der Planung des Neubaus beauftragt waren, keine Fehlkalkulation der Bauwerkskosten des MCI vorliegt. Denn unseres Wissens nach betragen die derzeitigen Gesamtkosten des MCI Euro 122 Mio (inkl. Mwst.) und es verwundert daher, dass in der Presse von einer Neuauschreibung des Projekts mit einem Kostenrahmen zwischen Euro 125 bis 150 Mio berichtet wird. Worin darin die Einsparungen liegen sollen, ist uns unver-ständlich, zumal es auch keine Einsicht in die Kalkulationen gibt.
Das mangelnde Verständnis von Kausalität und die öffentliche Intransparenz der Kostenargumente, die zu falschen Vorwürfen führten, zeichnet mittlerweile ein negatives Bild von Architekturwettbewerben. Der Wettbewerb ist eines der wichtigsten Instrumente zur Förderung der Baukultur in unserer Gesellschaft und dient der Findung des „besten“ Projekts auf Basis einer Ausschreibung. Das Land Tirol trägt sowohl als gesetzgebende Instanz als auch als wichtiger öffentlicher Bauherr größte Verant-wortung dafür. Diese Verantwortung wird auch durch den dritten österreichischen Baukulturreport vermittelt – beauftragt durch das Bundeskanzleramt – in dem sich die Bundesregierung zur Förderung der Baukultur und dem damit verbundenen Wettbewerbswesen bekennt.
Folgende Punkte werden in diesem Report als strategische Leitgedanken für die öffentliche Hand formuliert:
1. Bewusstsein für Baukultur entwickeln und geeignete Strukturen fördern!
2. Gemeinwohl stärken!
3. Ganzheitlich, langfristig und innovativ planen!
4. Flächen und andere Ressourcen mit Bedacht nutzen!
5. Öffentliche Mittel an Qualitätskriterien knüpfen!
Die Wettbewerbskultur in Tirol ist eine Erfolgsgeschichte, hat diese Leitgedanken stets verfolgt und in der Stadt Innsbruck wie im Land Tirol zu einer qualitativ hochwertigen Architektur geführt, die national wie auch international wahrgenommen wird. Darüber hinaus haben MitarbeiterInnen des Landes Tirol an dem Baukulturreport mitgearbeitet und sollen in den nächsten Monaten dessen Inhalte auch kommunizieren. Durch die Neuausschreibung des MCI gerät diese Wettbewerbskultur und der Anspruch nach einer qualitativ hochwertigen Architektur in Bedrängnis. Denn Verfahren wie jene einer Generalübernehmerausschreibung können den Architekturwettbewerb und dessen Ziel, das beste Projekt für einen Standort zu jurieren, nicht ersetzen und sind für uns daher entschieden abzulehnen.
Denn der Generalübernehmer garantiert mit seinem Angebot nicht für die Qualität des Bauwerks und seiner Architektur, sondern gibt nur eine vermeintliche Kostengarantie ab. Die involvierten Planer sind damit in allen Belangen dem Generalübernehmer ausgeliefert bzw. vertraglich verpflichtet. Demzufolge können ArchitektInnen ihren Auftrag als ZiviltechnikerInnen, die dem Gemeinwohl und somit der Qualität von Architektur verpflichtet sind, nicht mehr erbringen und werden zu ErfüllungsgehilfInnen von Bauwerken, die zumeist weder nachhaltig noch Ausdruck einer kultivierten Gesellschaft sind. Wenn vorwiegend nur mehr JuristInnen und Finanzcontroller bestimmen, wie und in welcher Qualität gebaut wird, relativiert sich das Thema des Qualitätanspruchs wie der Baukultur und kann nur als Rückschritt interpretiert werden.
Die politischen VertreterInnen sowie alle EntscheidungsträgerInnen sollten vielmehr daran arbeiten, die Baukultur weiterhin in guter und konstruktiver Zusammenarbeit mit den ArchitektInnen zu fördern.
Für die Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen
Daniel Fügenschuh – Vizepräsident und Bundesektionsvorsitzender
Für die Kammer der ZiviltechnikerInnen für Tirol und Vorarlberg
Hanno Vogl-Fernheim – Präsident
Ursula Faix und Christian Höller – Vorstandsmitglieder
Für das aut. architektur und tirol
Kathrin Aste – Obfrau
Arno Ritter – Leiter
Für die Architekturfakultät der Universität Innsbruck
Gabriela Seifert-Kavan – Dekanin
Kristina Schinegger – Studiendekanin
Für die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, Tirol
Rainer Noldin – Präsident
Barbara Poberschnigg – Vizepräsidentin